Der Diamant
und die Kunst Diamanten
zu schleifen
In der mystischen Stadt Pondicherry gibt es viele Besonderheiten und keine davon scheint zufällig in dieser Oase der indischen Welt angesiedelt zu sein. Indien selbst ist der Ursprung vieler Errungenschaften unserer heutigen Kulturwelt. Es sind wohl fünf antike Kulturen, die unsere heutige globale Gesellschaft am meisten geprägt haben: die Kulturen aus Indien, China, Mesopotamien, Ägypten und Griechenland. Die Geisteswelt des antiken Indiens war auf einem Niveau, von dem wir heute eigentlich nur träumen können. Revolutionäre Erfindungen wie das Rad, die intelligentesten Spiele, wie das Schachspiel, die beeindruckendsten Kulturdenkmäler und eine philosophische Tiefe und Vielfalt, wie sie ihresgleichen sucht. Indien hat gleich zwei der 6 großen Weltreligionen hervorgebracht, den Hinduismus und den Buddhismus. Doch auch im täglichen Leben gibt es viele markante Dinge deren Ursprung in Indien liegt, wie z.B. der Tee. Eines dieser Dinge ist der Diamant. In der Antike und im Mittelalter war jeder Diamant ein indischer Diamant. Der erste Rohdiamant, der außerhalb Indiens auftauchte, wurde 1729 in Brasilien entdeckt.
Pondicherry, ein Stadtstaat, also ein sogenanntes „Union-Territory“, nimmt in Indien eine besondere Stellung ein. Zur Kolonialzeit stand es nicht unter den Engländern, sondern war als einziger Ort Indiens eine französische Kolonie. Die französische Kultur hat denn auch nicht nur das Stadtbild von Pondicherry geprägt, sondern auch die Zusammensetzung der Bevölkerung, die Religionszugehörigkeiten, den Mix der Sprachen.
Doch das ganz große Markenzeichen Pondicherrys ist zweifellos die Philosophie. Sri Aurobindo, der während seiner großen Schaffenszeit in Pondicherry lebte, ist der große Reformer der klassischen indischen Philosophie und des Gedankenguts des Hinduismus, welcher es schaffte, die Brücke zwischen der alten Denk- und Ausdrucksweise und der heutigen modernen Sichtweise auf unsere Welt zu schlagen. Er hat es damit geschafft, dass der moderne Inder einen lebendigen Zugang zu seinen philosophischen und religiösen Wurzeln hat, was keine andere moderne Kultur für sich in Anspruch nehmen kann. Den westlichen Hauptreligionen, wie z.B. dem Christentum, fehlt diese Brücke und so muss in diesen Religionen Verständnis durch Glauben ersetzt werden. Am einfachsten hat es freilich der Taoismus. Er braucht keine Brücke, welche die antiken Texte in das moderne Gedankengut übersetzt. Denn der Taoismus hat es als einzige Weltreligion geschafft, die Ursprünglichkeit der Erkenntnis und Erfahrung von einem gedanklichen Überbau frei zu halten, welcher, da er gar nicht existiert, folglich auch nicht in eine moderne Terminologie übertragen werden muss.
Pondicherry ist also die Heimat des Verbindungspunkts der antiken indischen Philosophie und Religion mit der modernen indischen Geisteswelt. Im Schatten dieser Errungenschaft haben sich etliche große und kleinere Projekte im Großraum Pondicherry angesiedelt, eines davon ist das von der UNESCO geförderte Gesellschaftsprojekt Auroville. Ein anderes, sehr viel weniger beachtetes, ist die Diamantschleiferei Aditi Diamonds, welche heute vermutlich mit an der Spitze der Diamantschleifkunst Indiens steht.
Die Liebesgeschichte zwischen Mensch und Diamant ist so alt, dass wir ihre Ursprünge nicht mehr zurückverfolgen können. Vermutlich war es Liebe auf den ersten Blick: denn ein Rohdiamantkristall ist oftmals von einer solchen Schönheit und Eleganz, dass er einen unwiderstehlichen Charme ausstrahlt. Handelt es sich um ein gut ausgeprägtes Oktaeder, dann lässt seine Perfektion manchmal Zweifel aufkommen, ob es wirklich ein Zufallsprodukt der Natur ist.
Erst im vierzehnten Jahrhundert erlangte der Mensch das nötige Wissen, um den Diamant bearbeiten zu können. Da der Diamant das härteste Material ist, das wir kennen, war er bis dahin durch nichts bezwingbar. Deswegen war bis vor ein paar hundert Jahren jeder Diamant ein Rohdiamant, und alle Schriftstücke und Überlieferungen aus der Antike und dem Mittelalter beziehen sich immer nur auf Rohdiamanten.
Bis vor ein paar Jahrhunderten wurden Diamanten nur in Indien gefunden. In der frühen Antike waren Diamanten auch nur dort bekannt. Erst in der Zeit nach Alexander des Großen kamen sie aus Indien bis in den Mittelmeerraum. Aus diesem Grund spielt sich der allergrößte Teil der Geschichte des Diamanten in Indien ab.
Es gibt ausreichend schriftliches Material aus der Zeit von 500 vor Christus bis 500 nach Christus, um erahnen zu können, welche enorme gesellschaftliche Rolle der Diamant im alten Indien spielte. Es ist hoch interessant, die alten Sanskrittexte zu lesen. Dabei wird einem vielfach klar, woher die Eigenheiten des Diamanthandels kommen, welche im Kontext der heutigen Welt eigentlich unerklärlich sind.
In der aus dem 5. Jahrhundert stammenden, indischen Schrift „Ratnapariksa“ (Beurteilung der Edelsteine), gibt der Verfasser unter anderem einen Einblick in die Schöpfungsgeschichte der Diamanten: „Wegen der großen Kraft, die die Gelehrten dem Diamanten beimessen, muss der Diamant als erster (unter den Edelsteinen) behandelt werden….: die acht großen Lagerstätten des Diamanten sind: Saurashtra (Himalaya), in Matanga, Paundra, Kalinga, Kosala, die Ufer des Vainya und des Surpara. ….wenn sich irgendwo auf dieser Welt ein Diamant bildet, vollkommen transparent, leicht, von schöner Farbe, mit sehr gleichen Flächen, ohne Kratzer, ohne Flecken, ohne Makel, ohne Krähenfuß, ohne Zeichen eines Bruchs – selbst, wenn dieser nur die Größe eines Atoms hat, dann ist er in Wahrheit ein Geschenk eines Gottes, vorausgesetzt, dass die Ecken und Kanten gut ausgebildet sind… wer …. immer einen Diamanten trägt, mit scharfen Spitzen, ohne Flecken, ohne jeden Fehler, dem wächst jeden Tag, solange sein Leben währt, irgendetwas Glückliches zu: Kinder, Reichtum, Korn, Kühe, Vieh …“
Der Diamant war im alten Indien von solcher Wichtigkeit, dass seine Eigenschaften und magischen Kräfte bis ins letzte Detail erforscht waren. Alles war genau dokumentiert und wurde im gesellschaftlichen Leben sehr zielgenau eingesetzt. So wurden z.B. die Farbnuancen des Diamanten in vier Grundfarben unterteilt und den vier Hauptkasten zugeordnet. Die vier Hauptkasten in der indischen Gesellschaft sind heute noch dieselben wie vor 2500 Jahren: Die Brahmanen (die Priester, Gelehrten etc.), die Kshatriyas (die Krieger), die Vaishyas (die Geschäftsleute), die Shudras (die untere Kaste, meist Bauern und Arbeiter). In den alten Schriften werden die Diamanten je nach Farbe in dieselben vier Kastengruppen eingeteilt: „Der Diamant hat entsprechend seiner Kasten vier Farben. Der Diamant, der den samtigen Glanz des Perlmutts hat, des Bergkristalls, des Mondsteins, ist ein Brahmane. Der, der ein wenig rot ist, affenbraun, schön und rein, wird Kshatriya genannt. Der Vaishya hat eine glänzende, hellgelbe Farbe. Der Shudra glänzt wie ein blanker Degen: nach seinem Glanz machen ihn die Kenner zur vierten Kaste.“
Entsprechend der vier Farben der Diamanten welche den vier Grundkasten Indiens zugeordnet wurden, waren auch ihre glückbringenden Eigenschaften, also ihre inneren Werte, analog ausgerichtet: Der Diamant der Brahmanenkaste war natürlich der Wertvollste, da dies die oberste Kaste ist. Der Kshatriya, also der braune, brachte alle guten Eigenschaften eines Kriegers: Mut, körperliche Stärke, etc. Der Vaishya, der Diamant der Händlerkaste, brachte Reichtum und der Shudra, der Diamant der Bauernkaste, brachte landwirtschaftliche Prosperität.
Die Ratnapariksa berichtet:
„Der König, der entsprechend dem, was gesagt worden ist, einen schönen, hell funkelnden Diamanten trägt, besitzt eine Kraft, die über alle anderen Mächte triumphiert und wird zum Herrn des ganzen benachbarten Landes…. wer einen Kshatriya Diamant trägt, wird vollkommen sein an allen Gliedern, tapfer, groß, unbesiegbar, furchtbar für seine Feinde.
Mut, körperliche und geistige Frische, Glück, Geschicklichkeit, Reichtum, das sind die Früchte, die man erntet, beim Tragen eines Vaishya. Großen Gewinn, Überfluss an Reichtümern und Korn, Güte und Gefälligkeit, das erhält man, wenn man einen Shudra trägt. Für einen Shudra zahlt man auch einen hohen Preis, wenn er gute Zeichen trägt. Doch ist diese Kaste ohnmächtig, wenn die guten Zeichen fehlen.“
Die Bemerkungen beim Shudra bezüglich Preis und guter Zeichen beziehen sich darauf, dass die Kaste der Shudra ja eigentlich die niedrigste Kaste ist. Trotzdem ist auch ein Shudra relativ teuer, weil er gute Erträge bringt, wenn die Zeichen gut sind, also wenn der Oktaederkristall acht gerade Flächen hat, zwölf scharfe Kanten und sechs spitzige Ecken.
Weiter schreibt der Verfasser der Ratnapariksa:
„Die Gefahr eines frühen Todes, Schlangen, Feuer, Feinde, Krankheiten, weichen weit zurück, sobald ein Haus der Aufenthalt der vier Kasten ist.“
Wer es sich also leisten konnte, Diamanten der besten Qualität in allen vier Farben zu besitzen, war gegen alle allgemeinen Unglücke gefeit. Offensichtlich potenziert sich die Wirkung der einzelnen Diamanten, wenn sie im kompletten Set auftreten.
Die Bedeutung der Diamanten in der antiken indischen Gesellschaft war so groß, dass es einen eigenen Berufsstand gab: den der „Mandaline“, der Diamantgutachter. Auch heute noch hängt von der Entscheidung der Diamantgutachter in den großen Diamantinstituten viel ab. Der Laie kann sich die Bedeutung dieser Institute nicht vorstellen. Es geht dabei einfach um sehr viel Geld. Ob ein Stein gerade noch lupenrein ist, oder doch nur vvs1, und ob er noch die Farbe river D bekommt, oder doch nur river E, kann schon 40 % des Verkaufswertes ausmachen. Da ist die Neutralität des Gutachters oft sehr unter Druck. Und bei vielen Instituten ist die Objektivität der Beurteilung einfach nicht gewährleistet. Wir empfehlen daher nur Expertisen der Institute GIA, HRD, DPL und IGI.
Einen Einblick in die Macht der Mandaline im alten Indien gibt ein Jahrtausende alter Sanskrittext: „Ein Diamant soll so sein, dass die Kanten, die Flächen, die Spitzen, die Oberfläche, der Kopf, die gesuchten Eigenschaften haben. Man muss ihn zuerst auf der Waage wiegen und danach seinen Preis bestimmen… mögen alle Muni (= Mädchen, Hofdamen) hören, was die Diamantkundigen angeht. Man rufe den Mandalin, dessen Beruf es ist, den Preis festzusetzen. Der, der einen Diamant als einen einheimischen und als aus einer der acht Minen stammenden erkennt, oder als fremden, aus anderen Dvipa stammend, das ist ein Mandalin. Art, Färbung, Glanz, Form, Größe, Qualitäten, Herkunft, Nuance, Preis, das sind die acht Grundwerte, die zu beurteilen sind. Diamanten werden verkauft in folgenden Gebieten: Akara, Purvadeca, Kashmir, Madhyadeca, Ceylon und im Industal. Wenn jemand nicht einer der vier Kasten angehört, wer verstümmelte Glieder hat oder sonst schlechte Anzeichen, der darf weder Beamter werden und noch weniger zugelassen werden zu der Zahl der Mandaline.
Sowie ein Mandalin vorhanden ist, ziehen sich die Sura, die Daitya, die Uraga, die Graha sofort zurück und kommen nicht in die Mitte. Dies ist nicht zu bezweifeln. Man muss einen Mandalin von solchen Qualitäten haben. Aber es ist nicht leicht, einen zu finden, selbst im Himmel, dem Ort, der einen solchen Schatz bewahrt; dass der Käufer, der respektvoll seine Erfahrung angefordert hat, dem Hauptmandalin einen Sitz anbietet, Wohlgerüche, Blumengirlanden; dass der zunächst befragte Kundige sorgfältig die Qualitäten und die Fehler prüft, dann den Preis heimlich bekannt macht mittels Handzeichen.
Es könnte vorkommen, dass der Verkäufer ohne Kenntnis den Preis seiner Steine festsetzt. Sie bilden kein Hindernis für den Leiter der Mandaline. Man schlägt einen niedrigen Preis für einen hochwertigen Stein vor, einen hohen Preis für einen geringwertigen, aus Furcht, Verwirrung, Gier; das Unglück liegt immer auf den Lippen. … es gibt Händler, die fordern einen übermäßigen Preis mit Bezug auf eine Eigenschaft. Für sie gibt es weder Fehler noch Qualitäten. Das muss der Mandalin prüfen. Alle Mandaline, als Kenner der Ratnashastra, bleiben unveränderlich unparteiische Schiedsrichter; aber es gibt viele, die sich bei der Preisbildung von Ort und Zeit leiten lassen. Man findet bisweilen auch einen, vertraut mit Text und Sinn der Shastra und fähig abzuschätzen alle Steine. Man kann sich auf ihn allein verlassen, wenn man einen solchen zur Hand hat, bei der Sorge um die Preisfestsetzung.
Es gibt gemeine Menschen, die falsche Diamanten herstellen. Wer die Shastra kennt, kann sie entdecken durch Probierstein, anschlagen und ritzversuche …“
Da erst mit dem Feldzug Alexanders des Großen die ersten Diamanten aus Indien in den Mittelmeerraum gelangten, rätseln Experten, ob der Export von Diamanten aus dem Indien vor dieser Zeit verboten gewesen sein könnte. Manche Historiker vermuten auch, dass der Diamant im alten Indien zur Besteuerung verwendet wurde. Sollte dies so sein, dann wurden eventuell die Steuern bei den höheren Gesellschaftsschichten (Adel und Großkaufleute) in Diamanten festgelegt.
Die frühe indische Kultur war zu ihrer Blütezeit der zeitgleichen ägyptischen Kultur um einiges voraus. Das Rad wurde z.B. in Indien erfunden, nicht in Ägypten. Die alte indische Philosophie der Veden und Upanischaden ist so tiefgreifend, dass selbst Schopenhauer sagte: „es gibt nichts tröstlicheres, als die Upanischaden zu lesen“.
Es ist schwierig zu glauben, dass die herausragende Stellung der Diamanten in der alten indischen Kultur lediglich auf einem einfachen Aberglauben beruhte. Noch dazu in einem Lande wie Indien, welches mit so viel Energie und Hingabe die Welt der Mystik und des Okkultismus erforschte. Ein Aberglaube kann sich vielleicht eine, zwei oder maximal drei Generationen lang halten, aber nicht über mehrere tausend Jahre und nicht mit solch einer durchgreifenden Auswirkung.
Hinter dem Phänomen Diamant muss also noch etwas anderes stehen als nur reiner Aberglaube. Zum einen sind es sicherlich psychologische Faktoren wie z.B. das dem Menschen eingebaute Streben nach Perfektion. Der exakt auskristallisierte Oktaeder-Rohdiamant stand vermutlich wie nichts anderes als Symbol für die Perfektion schlechthin. Dann die Tatsache seiner Härte und Unbezwingbarkeit. Neben psychologischen Gründen dürften auch gesellschaftspolitische Gründe die Rolle des Diamanten bedingt haben. Vermutlich bestand ein Bedarf an einem Wertsymbol oder auch Statussymbol für Könige und Adelige – vielleicht auch nach einer Art Parallelwährung, welche auf kleinem Raum viel Wert vereinte.
Was den Glauben an die okkulten Kräfte des Diamanten anbelangt, so gingen die Inder, wie auch wir, davon aus, dass es parallel zu der uns bekannten physischen Welt, andere Welten gibt, die unserem mentalen Wissen größtenteils verborgen bleiben. In der Erforschung dieser Welten waren die alten Inder Spezialisten. Letztendlich nehmen wir doch nur einen gewissen Teil von dem wahr, was existiert. Ein vermutlich weitaus größerer Teil von allem bleibt unserer Wahrnehmung und unserem Wissen verborgen. Und dass der Diamant in diesem, uns verborgenen Teil der Schöpfung, eine spezielle Stellung einnimmt, schien zumindest wahrscheinlich. Wie schon erwähnt gibt es kaum ein Material auf Erden, welches so viele Superlative besitzt wie der Diamant: Er ist das härteste Material; das Material mit dem höchsten optischen Brechungsindex; er ist der beste Wärmeleiter, den es gibt. Und noch eine ganze Reihe anderer Superlative reihen sich auf die Kette der Besonderheiten des Diamanten. Dass eine Substanz aus so vielen verschiedenen Bereichen Superlative auf sich vereinigt, zeigt, dass es ein ganz besonderes Material ist. Und dass in den Bereichen, die uns verborgen bleiben, der Diamant ebenso herausragende Qualitäten hat, kann zumindest nicht widerlegt werden.
Die Kunst, Diamanten zu schleifen, stammt nicht aus Indien, sie stammt aus Deutschland. Ihren Anfang nahm sie in einer der handwerklich fortgeschrittensten Städte Europas: in Nürnberg. Nürnberg war mit seinen Handwerkszünften und dem Forschungsdrang seiner Bürger den übrigen europäischen Städten in vielem überlegen. So wurde in Nürnberg nicht nur die überall berühmten Lebkuchen hergestellt, sondern auch z.B. Weißblech oder Bleistifte.
Historiker behaupten zwar oft, die Kunst, Diamanten zu schleifen, nahm ihren Anfang in Paris, bzw. hätte sich in Europa vornehmlich in Paris entwickelt. Dies ist aber nicht ganz richtig. Die erste schriftliche Erwähnung von dem Schleifen von Diamanten in Europa stammt aus Nürnberg. Dort gab es z.B. schon 1375 eine „Zunft“ der Diamantschleifer. Zu diesem frühen Datum liegen keinerlei schriftliche Aufzeichnungen über Diamantschleifaktivitäten aus Paris oder irgendeiner anderen europäischen Stadt vor.
Mit der Möglichkeit, Rohdiamanten zu Schmucksteinen zu verarbeiten, gewann das Diamantschleifen eine völlig neue Dimension. Der Prunksucht und dem Prestigebedürfnis europäischer Adelshäuser waren in der damaligen Zeit fast keine Grenzen gesetzt. Und so war Paris natürlich einer der gewinnträchtigsten Orte, wo man die neuen Produkte verkaufen konnte. So verwundert es nicht, dass die erste schriftliche Aufzeichnung, die auf das Diamantschleifen in Paris hinweist, einen Diamantschleifer mit Namen „Herman“ erwähnt. Die Aufzeichnung ist datiert auf 1407. Offensichtlich handelte es sich um einen Nürnberger Diamantschleifer, der nach Paris gezogen war und dort seine große Karriere machte.
Bis dahin war das Diamantschleifen immer noch eine Kunst, welche ohne Schleifscheibe stattfand. Das aus Indien kommende Diamantschleifbrett war inzwischen in Nürnberg durch eine fortgeschrittene Technik ersetzt worden. Man „imprägnierte“ eine Tischplatte mit Diamantpulver und rieb darüber den zu schleifenden Diamanten. Diese Methode war aufwendig und langwierig, führte aber zum Erfolg. Vom Prinzip her gibt es keinen Unterschied zum heutigen Verfahren. Die in allen verschiedenen Schleifrichtungen ausgestreuten Diamantkristalle schleifen den in weicher Richtung über die Tischplatte scheuernden Diamanten und erzeugen eine Facette.
Einen ganz entscheidenden Durchbruch in der Schleifkunst gelang sehr viel später dem flämischen Diamantschleifer Lodewyk van Berquem aus Brugge. Van Berquem baute auf dem Wissen aus Nürnberg auf, dass man Diamanten mit ihrem eigenen Diamantstaub schleifen konnte, und entwickelte die Diamantschleifscheibe. Seit dieser Zeit, seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, hat sich an der Schleiftechnik nicht mehr viel geändert. Was zu einem späteren Zeitpunkt hinzu kam, war das Sägen der Diamanten und das Reiben der Rundiste. Aber die Technik des Schleifens oder des Facettierens der Diamanten ist heute noch genau die gleiche wie Ende des 15. Jahrhunderts.
Witziger Weise wurde die Diamantschleiferei in Pondicherry von einem Deutschen gegründet und geführt, der im Großraum Nürnberg geboren war. Alles begann mit einem Handschlaggeschäft in Zürich im Januar 1980, bei dem für 10.000 DM eine kleine Diamantschleiferei in Südindien den Besitzer wechselte. Ein Schweizer Diamantschleifer hatte sein Pläne aufgegeben, in Indien eine Schleiferei aufzubauen und wollte aus dem fehlgeschlagenen Projekt noch retten, was zu retten war. Der Deal umfasste zwei verlassene Schleifmaschinen, ein paar Schleifzangen, Dops und sonstiges Kleingerät, welche im indischen Pondicherry vor sich hin rosteten. Im Preis inbegriffen war auch ein Schnellkurs im Diamantschleifen, welcher dann in der Züricher Schleiferei des Schweizers, am renommierten Bahnhofsquai, stattfand.
Der Grund für das Geschäft war nicht die Absicht in der Schmuckbranche Fuß zu fassen. Es war die Liebe zur Philosophie, die den späteren Gründer der Marke Niveau élevé nach Indien ins Land der Veden und Upanischaden und speziell nach Pondicherry zog. Die verlassene Schleiferei was nur als Einstieg in den Ausstieg gedacht, als Mittel zum Überleben in der Ferne. Eine Rückkehr nach Deutschland war nicht geplant.
Doch dann kam alles anders. 15 Jahre später waren aus den zwei Schleifmaschinen über 100 geworden und die einst schon abgeschriebene Schleiferei produzierte mehr als 1000 Brillanten pro Tag. In den folgenden Jahren wurde die Produktion sogar noch ausgebaut und erreichte in ihrer Spitze bis zu 3000 Brillanten pro Tag.
Ursprünglich waren Brillanten oder Schmuckdiamanten gar nicht Teil der Produktpalette der einzigartigen Diamantschleiferei. Die Schleiferei startete im technischen Sektor. Sie stellte zunächst Diamantwerkzeuge für die Uhrenindustrie und Schmuckindustrie her, Härtetester für die metallverarbeitende Industrie und Test-Diamanten für die indische Forschung. Aus einem technischen-akademischen Hintergrund kommend, war der Deutsche top-fit in den Grundlagen der Chemie und kannte sich aus mit dem letzten Stand der Atommodelle und Kristallgitter. So ordnete er sehr bald die ganz spezifische Außenhülle des Diamanten der Kristallgitterstruktur, und damit der Atomstruktur, zu, und war damit in der Lage von einem amorph erscheinenden gequetschten Rombo-dodekaeder-
Diamant auf die Tetraeder-Atomgitter-Struktur des Kohlestoff-Atoms zu schließen. Die indische Grundlagenforschung, die zu der damaligen Zeit im „Nuclear Research Center Mumbai“ und im „Nuclear Research Center Kalpakkam“ durchgeführt wurde, hatte seinerzeit einen großen Bedarf an „High Pressure Diamonds“. Dies waren Diamant-Kegel mit einer kleinen abgeflachten Spitze. Damit wurden Drücke von etlichen Tonnen auf einer Fläche von einem halben Quadratmillimeter erzeugt. In den Forschungszentren der ganzen Welt wurden diese Diamant-Ambosse verwendet um Edelgase, allen voran Radon, so stark zu komprimieren, dass es einen festen Aggregatszustand annahm. In diesem Zustand untersuchte man es dann mit Röntgenstrahlen und zog alle möglichen Rückschlüsse auf Struktur und Aufbau einzelner Atome.
Was man dazu brauchte, waren Hochdruckdiamanten, die nur etwa 3 mm groß waren, welche so hart wie möglich sein sollten und welche eine möglichst hohe Parallelität zwischen ihrer Grundfläche und der „Amboss Fläche“ an der Spitze des Kegels haben sollten. Das Problem mit der Parallelität der beiden Flächen war schnell gelöst. Wenn man einen Hochdruckdiamanten in einen Laser-Strahl hält, so wird der Lichtstrahl durch die, nicht ganz parallelen, Flächen des Diamanten abgelenkt. Auf 20 Meter Entfernung produziert der Winkel zwischen Grundfläche und Amboss-Fläche des Diamanten dann eine messbare Ablenkung des Laserstrahls, die eine Abweichung der Parallelität des Diamanten von unter einem Zehn-Tausendstel Millimeter anzeigt. Mit dieser Methode konnte man in Pondicherry eine Parallelität bei Hochdruck-Diamanten mit einer Abweichung von weniger als einem fünf-tausendstel Grad erreichen. Den höchstmöglichsten Druckwiederstand erreichte man, indem man die Diamanten in einer Kristallgitter-Richtung schliff, bei der sich die größtmögliche Anzahl von Kohlenstoffatomen in der Druckrichtung des Hochdruckdiamanten befanden. Somit konnte die Schleiferei in Pondicherry Anfang der 80-er Jahre Diamanten-Ambosse liefern, die bis dahin nie erreichte Drücke produzieren konnten. Die indischen Forscher waren begeistert! Sie übertrumpften selbst die Amerikaner in ihren Forschungsergebnissen und gewannen internationale Preise in dem Gebiet ihrer Forschungen. Die kleine Diamantschleiferei in Pondicherry war damals nur etwa 10 Mann stark und hatte sich technisch an die weltweite Spitze des Schleifens von Industrie-Diamanten gesetzt!
Doch die Produktion von Spezialwerkzeugen mit Diamanten erforderte zu viel Aufmerksamkeit und konnte nicht wirklich standardisiert und ausgebaut werden, und so fasste man 1986 den Entschluss, die Produktion auf Schmuckdiamanten umzustellen. Mit dem hohen technischen Standard der Schleiferei konnte man sehr schnell Brillanten schleifen, die selbst bei kleinen Größen dem Kunden eine maximale Abweichung der Winkel des Oberteils von weniger als ¼ Grad garantieren konnte. Wieder gab es Begeisterung, dieses Mal bei der Uhrenindustrie. Und so kam es, dass man immer größere und größere Stückzahlen in Pondicherry in Auftrag gab, und schließlich bis zu 3000 Brillanten pro Tag geschliffen wurden.
Doch auch dies führte bald zu der Erkenntnis, dass die Produktion, diesmal die Massenproduktion, nicht mehr im Einklang mit den ursprünglichen Zielen der Arbeit stand. Und so wurde die Schleiferei wieder verkleinert, man begann Fremdaufträge abzulehnen und konzentrierte sich auf das, was wirklich Spaß macht: Die Kunst, Diamanten zu schleifen, und aus dem wohl interessantesten Material welches es gibt, Top-Qualitäts-Brillanten für die eigene Schmuckherstellung und den eigenen Verkauf des deutsch-indischen Unternehmens herzustellen.
So wurden nicht mehr nur Brillanten geschliffen, sondern auch Sonderschliffe wie die „Fire-Rose“ und andere. Es gibt wohl kaum eine Diamantschleiferei, die solch ein weites Spektrum von Bereichen durchlaufen hat. Werkzeugdiamanten, Diamanten zu Forschungszwecken, Sonderschliffe, Massenproduktion von Präzisions-Brillanten, und letztendlich die Entwicklung eigener Brillantschliff-Arten. Dabei ist das technische Niveau der Schleiferei auf höchstem Stand. Nicht nur eine eigene Diamant-Sägerei wird betrieben, es wird auch mit Lasern gesägt. Mit Sarin und Nano-Sarin Maschinen kann jeder Rohdiamant von einem Computerprogramm so berechnet und gleich markiert werden, dass er die optimale Ausbeute des Rohmaterials bei bester Schliffgüte erreicht. Die Schleifer von Aditi Diamonds, etliche davon schon über 30 Jahre im Betrieb, sind heute in der Lage, von Hand, mit der 10-fachen Lupe, Kleinbrillanten von nur 1 mm Durchmesser auf eine Toleranz der Facettenlänge von weniger als drei hundertstel Millimeter zu produzieren. Die letzten Jahre wurden daher in Aditi Diamonds auch viele Spezialschliffe wie „Hearts & Arrows“ Diamanten geschliffen. Die Schleiferei, welche eine der Wurzeln der Uhrenmarke Niveau élevé ist, kann sich heute dank ihres Wissens, ihres Erfahrungsschatzes, ihres Könnens und ihrer Präzision, in völlig neue Bereiche vorwagen, die von anderen Schleifereien nie betreten wurden. So wurden für die Marke Niveau élevé sieben neue Brillantschliff-Variationen mit speziellen Lichtmustern entwickelt, die im Zwölferrhytmus, dem Rhythmus der Zeit, aufgebaut sind.
Der Diamant, ein Material, welches wohl die meisten physikalischen Superlative auf sich vereint, welches eine der tiefsten Wurzeln in der antiken Kultur Indiens hat, welches für Perfektion, Schönheit und Wert steht, ist somit das ideale Medium um das in unserer Uhrenmarke auszudrücken, was wir weitergeben möchten. Wir sind stolz darauf, dieses Material auf unsere ganz eigene Art zu meistern.