Die geldlose Gesellschaft
Es ist keine große Enthüllung, wenn man behauptet, dass unsere heutige Gesellschaft und unser individuelles Leben, mehr als von irgendeinem anderen Faktor, vom Geld geprägt wird. Diese Tatsache ist so alldurchdringend und allumfassend, dass sie uns gar nicht auffällt. Die Zweckmäßigkeit des Geldes wird überhaupt nicht hinterfragt, genauso wenig wie man hinterfragen würde, ob die Luft zum Atmen sinnvoll ist oder nicht.
Doch ist unser monetäres System wirklich so alternativlos? Es kann doch nicht sein, dass ein so banales Instrument wie das Geld eine unangefochtene Macht darüber hat ob jemand genügend zu Essen hat oder nicht, ob jemand 5 Stunden pro Tag arbeitet oder 12 Stunden, ob jemand studieren kann oder nicht, ob jemand gut schlafen kann oder vor Sorgen um seine finanzielle Situation keine Ruhe findet. Beinahe jedes Detail unseres Lebens hängt vom Geld ab. Wie wir wohnen, was wir tun, wie wir uns kleiden, was wir essen, wo wir leben, wie gesund wir sind, was wir denken, wie wir uns fühlen, welchen Lebenspartner wir haben, alles wird davon bestimmt, oder zumindest davon beeinflusst, wie viel Geld wir haben. Das Schlimmste dabei ist, dass sogar unser gefühltes Selbst, wir selbst, indirekt vom Geld abhängen. Wir können eine innere Weite haben, uns selbst wahrnehmen, oder wir können uns eingeengt, entfremdet fühlen, weit von uns selbst entfernt, versklavt in einem Mechanismus in dem wir die Anforderungen abarbeiten, die das Geld an uns stellt, eingezwängt in ein Räderwerk in dem wir weder das tun, noch das sind, was unserem wahren Selbst eigentlich entsprechen würde.
Was an der Situation erschreckend ist, ist die Tatsache, dass es beinahe keinerlei Versuche gibt, wenigstens auszuprobieren, ob es nicht noch andere Systeme gäbe, welches ebenso funktionieren würden, wie das monetäre Gesellschaftsmodell. So ziemlich Alles wird heutzutage in Frage gestellt. Ob es einen Gott gibt, ob es tatsächlich eine Evolution gab, ob es überhaupt einen Klimawandel gibt, ob es überhaupt stimmt, dass amerikanische Astronauten auf dem Mond waren, ob es einen Holocaust gab, alles, wirklich alles wird angezweifelt. Aber an der Berechtigung des Geldes unser Leben zu regulieren, zweifelt niemand. Es wird zwar durchaus bezweifelt, ob die Verteilung des Geldes gerecht ist. Und so ziemlich jeder bezweifelt ob er wirklich genug Geld hat, und ob er selbst bei der Verteilung des Geldes nicht zu kurz kommt. Doch niemand bezweifelt, dass das Geld selbst, in seinem Mechanismus, gerechtfertigt ist. Zwar denken diejenigen, die monetär unter dem Durchschnitt liegen, der Staat sollte den Reichen Geld wegnehmen und es auf die schwächeren Einkommensschichten umverteilen. Und die Reichen denken genau umgekehrt. Ihrer Meinung nach sollten die Steuern gesenkt werden und diejenigen, die nach mehr Geld verlangen, sollten sich ein bisschen mehr anstrengen, dann ginge es ihnen schon gut.
Ob die Forderung nach staatlicher Umverteilung des Vermögens so sinnvoll ist, ist hier nicht das Thema. Die Forderung nach absoluter Gleichheit in Bezug auf Lebensstandard, Reichtum, etc. ist ohnehin unsinnig. Die Vor- und Nachteile des Lebens sind nun mal nicht gleich verteilt. Weder Gesundheit, noch Intelligenz, noch Glück, noch sonst irgendwelche menschlichen Fähigkeiten sind Allen in gleichem Maße gegeben, und dies ist auch gut so. Wie langweilig wäre eine Welt in der alles gleich verteilt wäre! Die Frage ist nicht, ob wir innerhalb des monetären Systems die Kaufkraft zwangsweise anders regulieren sollten. Die Frage ist, ob das monetäre System an sich das richtige System für die Menschheit in ihrem jetzigen Entwicklungsstadium ist.
Doch um dies herauszufinden bedarf es nicht nur theoretischer Überlegungen, sondern in erster Linie den entschlossenen Versuch. Es gibt zahllose Versuche etwas innerhalb des geldbezogenen Systems zu verändern. Man probiert alternative Währungen aus, wie Bitcoin etc. Man gibt viele Milliarden Euros dafür aus, dass im Falle von Krankheit die medizinische Versorgung jedes Einzelnen bezahlt wird. Man hat Systeme installiert nach welchen jeder Arbeitende eine Rente erwarten kann. Aber all das bräuchte man vielleicht gar nicht, wenn man über das monetäre System an sich hinaus käme.
Es gibt derzeit nur ein einziges, groß angelegtes Experiment, bei dem ernsthaft versucht wird ein Gesellschaftsmodell ohne Geld zu entwickeln und zu erproben. Dies ist das Projekt Auroville, der Versuch in Südindien eine internationale, multikulturelle Stadt mit 50.000 Einwohnern entstehen zu lassen, welche versucht eine ganze Reihe von alteingesessenen Verhaltensmustern über Bord gehen zu lassen. Die Unesco und die indische Regierung unterstützen sehr entschlossen dieses Projekt. Die Unesco durch regelmäßige Resolutionen in welchen sie alle Nationen aufruft das Projekt zu unterstützen, und die indische Regierung vor allem dadurch, dass sie den Einwohnern dieser Stadt bereitwillig Aufenthaltsgenehmigungen ausstellt und ihnen erlaubt ihre eigenen Gesetze und Regeln aufzustellen und danach zu leben. Abgesehen von diesem einzigen Versuch, ist derzeit keinerlei ernst zu nehmende Bemühung in Sicht, um auszuprobieren ob es nicht irgendeine Alternative zur monetären Gesellschaft gibt.
Wohl gemerkt, die politischen Systeme wie der Sozialismus, Kommunismus etc., waren oder sind, keine geldlosen Systeme. Auch im Kommunismus in Russland und im Sozialismus in China gab es immer Geld. Man hat nur einen großen Teil der Gehälter vereinheitlicht, die großen Wirtschaftsbetriebe verstaatlicht und die Privatwirtschaft eingeschränkt oder verboten. Aber das Leben wurde genauso über das Geld geregelt wie im Kapitalismus.
Wenn man mit Leuten über die geldlose Gesellschaft spricht, die sich bisher keine Gedanken zu diesem Thema gemacht haben, stößt man oft auf völliges Unverständnis, wozu der Versuch eine solche Gesellschaftsform zu erproben überhaupt gut sein soll. Wir wollen hier vier Argumente in die Waagschale werfen:
- Ganz prinzipiell ist die Hinterfragung jeder Verhaltensform oder Gesellschaftsform immer angebracht. Eine Art des Zusammenlebens wie die der finanziellen Individualisierung nicht zu hinterfragen ist schon fasst sträflich. Solange wir die monetäre Strukturierung unserer Gesellschaft nicht hinterfragen, wissen wir weder ob es etwas Besseres gibt, noch welche Bestandteile des Systems gut und welche schlecht sind, welche man vielleicht abändern könnte, austauschen, weglassen, oder ob man eventuelle neue Bestandteile hinzufügen sollte. Eine Hinterfragung desjenigen Systems, welches unser aller Leben regelt, welches verantwortlich ist für einen gigantischen Wirtschaftlichen Aufschwung und Reichtum einerseits und für erschreckende Armut und Not andererseits, kann nicht verwerflich sein. Den Versuch als Spinnerei abzutun ist nicht gerechtfertigt. Immerhin wird hier nicht versucht mit Gewalt jemanden dazu zu zwingen in einem nicht-monetären System zu leben. Es wird lediglich ein Experiment durchgeführt um zu sehen, ob man die Gesetzmäßigkeit und den Mechanismus des Geldes durch andere Mechanismen ersetzen kann und welche Auswirkungen dies hat.
- Eine geldlose Gesellschaft, in der die Versorgung des Einzelnen nicht monetär strukturiert ist, in dem seine Motivation zu arbeiten und die Palette seiner Möglichkeiten nicht über das Geld geregelt wird, hätte einen gigantischen Effizienzsprung zur Folge. Man stelle sich vor, es gäbe kein Finanzamt, keine Steuergesetze, niemand müsste Buchhaltungen führen, um irgendwelchen Behörden etwas zu beweisen, es gäbe keine Eigentumsdelikte mit dem daraus resultierenden Strafvollzug, es gäbe keine Werbung, niemand würde versuchen ein Produkt, welches eigentlich keinen Sinn hat, in den Markt zu pushen, es gäbe keine Bestrebungen den Konsum anzuheizen, Konsum wäre kein Statussymbol mehr. Niemand müsste mehr auf eine Nobelkarosse hinarbeiten, weil diese dann ohnehin kein Beweis dafür wäre, was für ein toller Kerl man ist. Die Fabrikanten von Gebrauchsgegenständen würden keine Verschleißpunkte mehr in ihre Produkte einbauen, damit diese nach einiger Zeit von selbst kaputt gehen, usw., usw. Wenn wir uns mal ganz genau ansehen, was alles wegfallen würde in einer geldlosen Gesellschaft, dann kommen wir sicherlich auf deutlich über 50 % der Wirtschaftsleistung, die frei wäre um die wirklichen Aufgaben unserer Zeit zu meistern, wie z.B. der Erhalt unserer Umwelt.
- Das monetäre System ist die eigentlich treibende Kraft in der Zerstörung unseres Lebensraumes. Immer mehr und immer mehr Geld, immer mehr und immer mehr Gewinn, immer mehr und immer mehr Wirtschaftsleistung, immer mehr und mehr Besitz, wohin führt uns das? Unser Leben wird nicht lebenswerter wenn wir drei Badezimmer statt einem haben, wenn unser Auto 3000 cm³ statt 1500 cm³ Hubraum hat, wenn wir uns alle 6 Monate ein neues I-Phone zulegen, und wenn aber gleichzeitig mehr und mehr Tierarten aussterben, wir vor lauter Smog keinen blauen Himmel mehr sehen, unsere Flüsse tote Abwasserkanäle sind, es vor lauter Straßen kaum noch Grünflächen gibt, und wenn wir versuchen dem Zwitschern der Vögel zu lauschen, aber nur Flugzeugmotoren im Himmel dröhnen. In unserem momentanen System wird sowohl von der Politik, als auch von der Wirtschaft, mit allen Mitteln versucht, die globale Wirtschaftsleistung zu steigern. Dabei verdoppelt sich laut Welt-Wirtschaftsbericht der Weltbank sowieso die globale Wirtschaftsleistung alle 11 bis 20 Jahre. Wenn wir im Schnitt alle 15 Jahre unsere globale Wirtschaftsleistung verdoppeln, dann haben wir in 165 Jahren eine 4000-fach so große Wirtschaftsleistung auf diesem Planeten. Wir werden diesen Zeitpunkt sicher nicht erreichen. Unser Umfeld kippt schon sehr viel früher um. Aber dass in der Politik nicht einmal die Grünen Parteien auf die gebetsmühlenhaften Forderungen nach Investitionen zum Ankurbeln der Wirtschaft verzichten, ist schon erschreckend. Dass der Versuch ein Mehr an Lebensqualität durch ein Mehr an Wirtschaftsleistung und Konsum zu erreichen, auf gesellschaftlicher Ebene nicht mehr klappen kann, sollte eigentlich jedem Politiker inzwischen klar geworden sein, selbst den Grünen. Unser globales, auf Geld ausgerichtetes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem wird ohnehin in allerspätestens 100 Jahren zusammenbrechen, wenn unsere Umwelt ruiniert ist, die meisten Ressourcen erschöpft sind und einfach keine Aufnahmefähigkeit mehr für „noch mehr“ vorhanden ist. Ein Umdenken vor dem absehbaren Kollaps wäre sinnvoll, wird aber leider aller Voraussicht nach erst nach dem Kollaps einsetzen.
- In unserer heutigen Gesellschaft ist, auf gesellschaftlicher Ebene, Besitz oder Reichtum das große Ziel, das es zu erreichen gilt. Auf der ganz individuellen Ebene ist es leider auch so, dass der eigentliche Drang nach Selbst-Erfahrung nicht über den direkten Weg, also über die tatsächliche Erfahrung unseres Selbst ausgelebt wird, sondern über indirekte Existenzbeweise. Man identifiziert sich über seinen Besitz, über das, was man geschaffen hat, über seinen Ruf. Erst wenn man das Gefühl hat, dass man beneidet wird, fängt man an sich wohl zu fühlen, weil man daraus dann wohl mit Sicherheit ableiten kann, dass man tatsächlich existiert. Dieser allgemeingültige Mechanismus, dass man sein ganzes Leben lang dem Geld hinterher rennt, weil man nur über Geld und Besitz eigentlich „existiert“, bedeutet in den meisten Fällen, dass man sein eigenes Leben eigentlich verpasst. Die einen verpassen es, weil sie der Täuschung erliegen sie seien „etwas“, weil sie es zu „etwas“ gebracht haben und übersehen dabei sich selbst. Die anderen verpassen ihr Leben genauso, weil sie es nicht schaffen, es zu „etwas“ zu bringen, und der Täuschung erliegen ihr Leben sei qualitativ minderwertig, weil sie eine unterdurchschnittliche Kontobilanz haben.
Das monetäre System mit monetären Lebenszielen ist also nicht nur verantwortlich für die Zerstörung unserer Umwelt, sondern auch dafür, dass wir schlichtweg am Leben vorbeileben, weil wir etwas hinterher rennen, was keinen eigentlichen Wert hat.
Obwohl wir genügend Material hätten, das geldgestützte System unserer Gesellschaft theoretisch in Frage zu stellen und zu verurteilen, müssen wir aber natürlich zugeben, dass die Kraft des Geldes auch viele gute Seiten hat. Doch anstatt theoretisch abzuwägen, ob unser momentanes System gut oder schlecht ist, ist es doch viel interessanter einfach mal auszuprobieren ob es Alternativen gibt, und wie diese aussehen.
Und so unterstützt die Marke Niveau élevé den Versuch eine geldlose Mikro-Gesellschaft von 50.000 Leuten auf die Beine zu stellen. Ob dieser Versuch wirklich Erfolg haben wird, kann überhaupt nicht abgeschätzt werden. Aber verlieren kann man dabei nicht wirklich. Der Einwand, der Versuch komme viel zu früh, die Menschheit sei noch nicht reif für solch ein Experiment, ist völliger Schwachsinn. Wenn wir es in mehreren tausend Jahren Kulturgeschichte nicht geschafft haben, in der Lage zu sein, alternative gesellschaftliche Wege friedlich auszuprobieren, wann sollen wir dann dazu in der Lage sein? Wenn die Menschheit sich ausgerottet hat? Wenn unsere Umwelt zerstört ist? Es ist nicht zu früh für dieses Experiment. Vielleicht ist es schon zu spät! Aber sicher nicht zu früh.
Wenn wir uns die soziale Struktur unserer menschlichen Epoche ansehen, dann können wir diese ganz grob in zwei Kategorien einteilen. In die Epoche, in der die Macht des Stärkeren regiert, oder schlichtweg die „Macht“, und in die zweite Epoche, welche die erste ablöst, in der das Geld die meisten Abläufe der Gesellschaft regelt. Werfen wir einen Blick auf die Entstehung des Geldes, bzw. auf den Übergang von der einen Struktur der Zivilisation in die nächste:
Das Geld entstand mehr oder weniger gleichzeitig an vielen Orten dieser Welt. Voraussetzung dazu war eine hinreichende wirtschaftliche Spezialisierung und Diversifizierung. Ein schönes Beispiel für die Entstehung des Geldes ist das alte Ägypten zwischen 2000 und 1500 vor Christi Geburt. Die Tempel hatten damals in Ägypten auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Funktionen. Eine davon war, dass man in ihnen sein Getreide lagern konnte. Man gab einen genormten Krug mit Getreide ab, und erhielt als Zeichen des Besitzes dieses Krugs ein kleines rundes Metallplättchen. Wenn man seinen Krug wieder abholen wollte, gab man die Metallmarke zurück und erhielt einen Krug Getreide im Gegenzug. Da die Größe der Krüge genormt war, spielte es keine Rolle ob man seinen eigenen oder einen anderen Krug bekam.
In dem Moment, wo sich eine genügende Anzahl kleiner Metallscheiben im Besitz der Handwerker und Bauern befand, war es eine große wirtschaftliche Erleichterung den Tauschhandel durch den Geldhandel zu ersetzen. Ein Bauer, der seine Ernte nur in einer bestimmten Jahreszeit hatte, konnte sich bisher Kleidung, Schuhe, Werkzeug, nur zu dieser Jahreszeit gegen sein Getreide eintauschen. Weber, Schuster, Handwerker, konnten ihre Produkte auch nur zu dieser Jahreszeit gegen Getreide tauschen. Mit den Metallplättchen war man auf einmal zeitlich ungebunden. Ebenso war es vorher nur möglich den direkten Tausch von einer Ware in eine andere zu vollziehen. Ein Bauer konnte ein Pferd nur gegen etwas tauschen, was jemand besaß, der gerade ein Pferd brauchte. Doch wenn diese Ware für den Bauer nicht sinnvoll war, fand der Handel nicht statt. Wenn der Bauer nun Metallplättchen für ein Pferd bekam, konnte er am Markt jede Ware für die Metallplättchen bekommen, egal welche. Da der Wert der Metallmarke klar definiert war, nämlich ein genormter Krug Getreide, etablierten sich sofort feste Preise für jeden Artikel und der Wert der neuen Währung war immer stabil. Das Geld war geboren. Es füllte eine Lücke im Handel, welche es möglich machte, jede Ware gegen ein Zwischenmedium zu tauschen, welches dann zeitliche und warenspezifische Ungleichheiten perfekt ausglich. Der wirtschaftliche Vorteil war enorm und ein gigantischer wirtschaftlicher Aufschwung war die Folge.
In Ägypten verschwand das Geld dann wieder, etwa um 1100 vor Christus, als der sogenannte „Seesturm“ einsetzte. Dies war eine Phase, bei der Piratenvölker die Küsten des Mittelmeeres verwüsteten und alles brandschatzten was von der Küste aus erreichbar war. Die hohe wirtschaftliche Diversifizierung und der Reichtum der Gesellschaft brachen zusammen und das Wirtschaftssystem viel zurück auf die Stufe bei der der einzelne nur um sein eigenes Überleben kämpfte. Der Tauschhandel löste das Geld wieder ab. Um 500 vor Christus jedoch stabilisierte sich die Lage wieder und das Geld hielt wieder Einzug.
Gleichzeitig führte der Sohn des legendären reichen Perserkönigs Krösus das Geld im Zweistromland ein. Und genau zur selben Zeit „erfand“ Solon, der große griechische Reformer in Athen das Geld und erschuf die Silberwährung für den Stadtstaat. Es ist bezeichnend, dass Solon auch derjenige war, der in Athen die „Thimokratie“ einführte, jenes politische System, welches dem Geld den größten Freiraum seiner Wirkung einräumt. In der Demokratie, in der jeder die gleichen politischen und gesellschaftlichen Rechte hat, regiert das Geld uneingeschränkt, weil es keine Privilegien gibt, außer viel Geld zu besitzen.
Auch in anderen Gegenden wurde mehr oder weniger zeitgleich das Geld eingeführt. So wurde in China eine bestimmte seltene Muschel als Währung verwendet und in Mittelamerika bei den Mayas die Kakaobohne.
Mit der Einführung des Geldes wurde ganz langsam, Schritt für Schritt, das System der Macht abgeschafft. Während zunächst die Machtposition innerhalb einer ganz nach Macht strukturierten Gesellschaft das einzige Element war, welches den privaten Lebensstandard und den Einfluss innerhalb der Gesellschaft bestimmte, gab es jetzt noch ein zweites Element. Wer viel Geld besaß konnte sich Einfluss und Macht erkaufen und war letztendlich dem „nur-Mächtigen“ überlegen.
In einer Demokratie, bei der die politische Macht auf die einzelnen Bürger gleichermaßen verteilt ist, hat das Geld keinerlei Grenzen in seinem bestimmenden Charakter mehr. In einer Monarchie oder Aristokratie mussten sich Position und Geld den Einfluss teilen. Letztendlich gewann das Geld die Oberhand und löste das politische System der Diktaturen, in welcher Form auch immer, ab. Ein schönes Beispiel für die Konkurrenz zwischen Position und Reichtum ist die Anekdote aus dem Englischen Garten in München. Es gab dort eine ausgefahrene Spur für Reiter und Kutschen die eine Kreisbahn durch den großzügigen Park darstellte. Es galt die strikte Regel, dass, wenn die Kutsche König Ludwigs auf diesem Weg unterwegs war, diese Kutsche nicht überholt werden durfte. Xaver Krenkel, Bäckermeister aus Landshut, der in München mit Pferdehandel viel Geld verdient hatte und 14 mal mit seinen Pferden das Pferderennen des Oktoberfests gewonnen hatte, hatte König Ludwig größere Beträge Geld geliehen, welcher mit seinen architektonischen Ambitionen ohnehin chronisch pleite war. Eines Tages überholte die Kutsche des Xaver Krenkel in hohem Tempo die des Königs, und als der Reitmarschall des Königs versuchte Xaver zur Rede zu stellen, rief dieser dem König zu „Wer ko, der ko!“ (Wer kann, der kann!).
Die monetäre Gesellschaftsform hat seit seiner Entstehung Zug um Zug, die Gesellschaftsform der Strukturierung über Macht abgelöst. Dies fand nicht immer friedlich statt. So war der amerikanische Bürgerkrieg grundlegend ein Krieg zwischen dem alten System der Macht, repräsentiert durch die Südstaaten und dem monetären Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in den Nordstaaten. Die Südstaaten basierten ihr Wirtschaftssystem zu einem großen Teil auf Sklaven, also auf die Struktur der Macht, der Norden auf bezahlte Arbeitskraft, also auf das monetäre System. Letzteres erwies sich als sehr viel effizienter. Ein Arbeiter der krank war oder starb, konnte sofort ohne jeglichen Verlust ersetzt werden. Wenn ein Sklave erkrankte oder starb, stellte dies einen herben Verlust für den Besitzer dar. Wenn das Maß an Arbeit fluktuierte, konnte der Unternehmer mit bezahlten Arbeitern diese leichter reduzieren oder ausweiten, als ein Besitzer von Sklaven. Letztlich waren auch die Kosten für die geleistete Arbeit bei bezahlten Arbeitern geringer als bei Sklaven. Die Motivation zu Arbeiten bei Zwang durch die Peitsche, im Vergleich zu einer gefühlten Freiheit mit dem Wunsch nach Geld, war ungleich geringer. Auch die Innovation beim Erfinden technischer Neuerungen, welche man verkaufen konnte, waren im monetären System sehr viel größer als im alten System. So erlangte der monetär strukturierte Norden sehr bald eine wirtschaftliche Überlegenheit gegenüber dem Süden der Vereinigten Staaten und der militärische Sieg war eine konsequente Folge daraus.
Nach und nach gewann die monetär strukturierte Gesellschaft die Oberhand über alle Gesellschaften, welche über die Macht strukturiert sind, mit einer einzigen Ausnahme: Nordkorea. Hier ist die Gesellschaft noch über die Macht strukturiert. Doch auch hier ist klar, dass das
System in keiner Weise konkurrenzfähig gegenüber seine Nachbarstaaten ist. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann auch hier das monetäre System das Land erobert und die Demokratie im Schlepptau mitbringt.
Die Tatsache, dass wir zwei klar definierbare Gesellschaftssysteme in der Menschlichen Zivilisation ausmachen können, welche sich sozusagen „automatisch“ etablieren, je nach wirtschaftlichem Entwicklungsgrad, stellt die Frage in den Raum, ob es wirklich nur diese beiden Gesellschaftssysteme gibt, oder ob mit weiterer wirtschaftlicher Entwicklung, nicht noch ein drittes System auftauchen könnte. Vermutlich liegt die Blaupause dazu schon vor, in allen Einzelheiten ausgearbeitet, so wie die Blaupause für die monetäre Struktur einer Gesellschaft bei hinreichender wirtschaftlicher Diversifizierung schon immer vorlag, lange bevor es Geld gab. Und vermutlich wird sich das „dritte“ System genauso selbstständig etablieren, wie sich das „zweite“ Gesellschaftssystem etabliert hat, vorausgesetzt es gibt noch eine Gesellschaft bis zu diesem Zeitpunkt.
Es gibt jedoch einen großen Unterschied zwischen dem Zeitpunkt des ersten Paradigmenwechsels der Zivilisation und dem vermutlich irgendwann kommenden Zeitpunkt des zweiten Paradigmenwechsels. Im Laufe der Evolution wird die Spezies Mensch immer bewusster, immer freier im Denken. Man kann nicht wirklich sagen, dass sie vernünftiger wird, aber sicher intelligenter. Oder sagen wir mal, es etabliert sich mehr Intelligenz auf diesem Planteten und lassen wir es mal dahingestellt, ob dies ein Verdienst der Menschen ist, oder ob sich durch die technischen Errungenschaften, allen voran durch die Computer, die Intelligenz vergrößert. Weiter zu beobachten ist, dass das „Wissen“ exponentiell zunimmt. Die Gesamtmenge an Wissen vergrößert sich immer schneller und schneller. Fast möchte man meinen es handelt sich um eine Kettenreaktion, die wie bei einer Kernfusion ab einer kritischen Masse plötzlich eine ganz neue Dimension von Schnelligkeit in der Zunahme erreichen könnte.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung könnte es sein, dass die Manifestation des „dritten Gesellschaftssystems“ nicht von selbst und unbewusst stattfindet, wie dies bei den ersten beiden der Fall war, sondern bewusst. Während bei dem Wechsel vom Macht-System zum monetären System der Mensch nur Statist war, nur Zuschauer und Nutznießer einer in sich selbst austarierten Wirtschafts-Struktur, wäre es denkbar, dass beim nächsten System der Mensch eventuell aktiv daran beteiligt sein könnte, welche Ausrichtung ein neues System eventuell hat. Vielleicht gibt es ja bei der enormen wirtschaftlichen Diversifizierung und dem gigantischen Stand an Wissen, den wir heute erlangt haben, gleich mehrere Möglichkeiten von Systemen, die alle in gleicher Weise das „zweite System“ ablösen könnten. In diesem Falle wäre es von enormer Wichtigkeit den Prozess des Findens und Etablierens eines neuen Systems bewusst mit zu begleiten und zu steuern. Hat sich erst mal eine Alternative zum zweiten System der Zivilisation etabliert und löst es das erste ab, weil es sehr viel praktischer und effizienter ist, so ist es vielleicht nicht mehr so leicht ein anderes System zu etablieren, welches ebenso effizient wäre, gleichzeitig aber vielleicht sehr viel freundlicher, erhabener und weiser.
Es ist also höchste Zeit sich mit der Thematik der geldlosen Gesellschaft auseinander zu setzen. Wenn man sich die unüberschaubaren Folgen eines unbewussten Systemwechsels vor Augen hält und die schier unendlichen Möglichkeiten und Verbesserungen eines bewussten Übergangs in eine neue Gesellschaftsform, dann haben wir keine Zeit zu verlieren. Wir müssen uns jetzt mit dem Thema auseinander setzen.
Auroville hat schon bei seiner Gründung 1968 die geldlose Gesellschaft als eine der Facetten der neuen Gesellschaftsform definiert und proklamiert. In seiner konkreten Strukturierung wurde dieser Aspekt zwar weder damals, noch bis heute ausgearbeitet, doch als Ziel immer klar ins Auge gefasst. Im Verlauf von 50 Jahren Ringen um eine bessere Gesellschaftsform ist zunächst in dieser Hinsicht nicht wirklich viel erreicht worden. Das Land, auf welchem sich das Projekt abspielt, wurde zwar zentral gekauft und steht jedem Aurovilleaner oder jedem Auroville-Projekt in einer geldlosen Form zur Verfügung. Niemand bezahlt etwas für Auroville-Land, man kann es weder kaufen noch verkaufen oder mieten und vermieten. Land war also die „erste geldlose Commodity“ in der Auroville-Gesellschaft. Vor etwa 5 Jahren kam eine zweite Commodity hinzu: Elektrizität. Das Team und die Firmengruppe um Niveau élevé kaufte 6 Windkraftanlagen und begann den Strom für Auroville nicht nur „grün“ zu produzieren, sondern auch kostenfrei in Auroville zu vertreiben. Jeder Privathaushalt, jede soziale Einrichtung wie Schulen, Gemeinschaftsküchen, Kulturinstitute etc. und auch jede kommerzielle Einrichtung, wie Werkstätten, Fabriken, Büros, müssen nichts mehr für den Strom bezahlen, den sie verbrauchen.
Die große Befürchtung war natürlich, dass ein „hidden demand“, also ein unterdrückter Bedarf das Experiment sehr schnell beenden könnte. Von den etwas über 2000 Einwohnern Aurovilles sind nur etwa 10 bis 15 % mit einer Klimaanlage ausgerüstet und der südindische Sommer ist ohne Aircondition nicht gerade angenehm. Die Skeptiker innerhalb Aurovilles argumentierten daher, dass kostenloser Strom einerseits zu einem enormen Anstieg des Verbrauchs durch Neuinstallationen von Klimaanlagen führen würde, andererseits, dass ein unbewusster und verschwenderischer Umgang mit der „Commodity Energie“ die Folge wäre. Um die genaue Wirkung der Umstellung auf kostenlosen Strom abschätzen zu können, wurden hunderte von Zwischenzählern in Auroville installiert und ein ausgefeiltes „Monitoring“ mit einer eigens entwickelten Software eingeführt. Die entscheidende Frage war: Wird sich die natürliche Zunahme des jährlichen Verbrauchs durch die Abschaffung des monetären Aspekts der Elektrizität beschleunigen oder nicht? Bei den etwa 1000 Anschlüssen, welche nun seit ein paar Jahren kostenlosen Strom geliefert bekommen, liegen von ca. 400 klare Daten über die letzten Jahre vor und es hatten sich die Bedingungen für die jeweiligen Anschlüsse während des Experiments nicht verändert. Die Auswertung des Verbrauchs dieser Anschlüsse lieferte ein sensationelles Ergebnis: Es lag vor der Einführung der geldlosen Elektrizität ein jährliches Wachstum des Verbrauchs von 12 % bei den erfassten Anschlüssen vor. Dies war durch Neuinstallationen von Klimaanlagen, Waschmaschinen usw. begründet. Nach Einführung der geldlosen Abgabe von Elektrizität stieg der jährliche Zuwachs des Verbrauchs jedoch nicht, wie erwartet, sprunghaft an, sondern reduzierte sich auf 7 %.
Die Gründe für diese Entwicklung liegen wohl in verschiedenen Bereichen. Zum einen wurde das Thema „Geldloser Strom“ natürlich in Auroville heftigst diskutiert und somit ein hoher Grad an Bewusstheit bezüglich des Stromverbrauchs erreicht. Jemand der vor der Umstellung vielleicht das Gefühl hatte, es sei sein gutes Recht eine Aircondition laufen zu lassen, gleichzeitig aber durch ein offenes Fenster für ausreichend Frischluft zu sorgen, weil er ja schließlich für den Strom bezahlt, der sah sich jetzt auf einmal in einem moralischen Dilemma. Denn jetzt bezahlt er nicht mehr für den Strom. Die Rechtfertigung für einen exzessiven Verbrauch fällt also weg und er wird direkt mit seinem Gewissen konfrontiert. Ein weiterer Grund für den deutlichen Rückgang des Konsum-Wachstums ist sicherlich die Tatsache, dass der „Stromproduzent“, die Firma Varuna, aus der Firmengruppe um Niveau élevé, nicht wie ein üblicher Produzent ein großes Interesse daran hat, dass möglichst viel konsumiert wird. Jetzt dreht sich die Interessenslage auf einmal um. Der Produzent, der seine Waren umsonst abgibt, hat ein Interesse daran, dass möglichst wenig konsumiert wird. So hat Varuna ganz strategisch alle möglichen Verlustpunkte untersucht, darauf gedrängt, dass alte und ineffiziente Geräte ausgetauscht werden, hat Leitungsschäden behoben und in den letzten Jahren mehrere hundert sogenannte „Energy-Audits“ durchgeführt. Mit einem „Energy-Audit“ ist ein Besuch des Elektro-Ingenieurs des Stromproduzenten gemeint, der einen Haushalt oder einen Betrieb auf mögliche Optimierungen in der Effizienz des Stromverbrauchs hin untersucht und berät.
Es mag noch andere Gründe für den Wechsel im Konsumanstieg geben. Fazit ist, dass die Umkehrung der Interessenlage des Produzenten ganz natürlich dazu führt, dass weniger konsumiert wird. Die große Gefahr, die die Skeptiker der geldlosen Gesellschaft anführen, nämlich der exzessive private und gewerbliche Verbrauch, scheint also zumindest in diesem Fall nicht das entscheidende Problem zu sein.
Vermutlich lauert jedoch in einer ganz anderen Ecke ein viel größeres Problem. Die Kraft des Geldes beinhaltet einen natürlichen Mechanismus der Begrenzung und Regulierung. Alles, was innerhalb des Geldkreislaufs nicht zu einer Vermehrung des Geldes führt, wird sofort damit bestraft, dass sich das Geld von dem Prozess, bzw. den Personen die den Prozess handhaben, zurückzieht. Somit wird eine natürliche Auswahl getroffen. Jeder, der in der Lage ist, Geld „sinnvoll“ im Sinne der Vermehrung des Geldes einzusetzen, wird damit belohnt, dass ihm viel Geld zufließt und ihm große Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Jeder, der diese Fähigkeit nicht besitzt, der in seinem Handeln das Geld nicht vermehrt, wird damit bestraft, dass das Geld ihn meidet. Mit diesem Mechanismus sorgt das Geld dafür, dass es sich ständig vermehrt und sich seine Kraft ausweitet. In einer geldlosen Gesellschaft greift dieser Mechanismus nicht mehr. Die natürliche Begrenzung durch den Entzug der Kaufkraft bei einem Verhalten, welches keine Vermehrung des Geldes bewirkt, fällt weg. Somit stehen die vorhandenen Ressourcen auch Leuten zur Verfügung, die keine Erfahrung und kein Können im Umgang mit diesen Ressourcen haben. Eine unwirtschaftliche Handhabung und ein Abschmelzen der vorhandenen Mittel sind die unweigerliche Folge.
In der Zeit der Anfänge Aurovilles fand in der Schweiz ein Experiment statt welches den Versuch einer nicht-monetären Interaktion innerhalb einer kleinen Gruppe von Auroville-Unterstützern zum Kern hatte. Ein Team von einer Hand voll Leuten, welche gemeinsam recht erfolgreich in verschiedenen Projekten Geld für den Bau des Matrimandirs verdienten, beschlossen die üblichen Regeln der Bindung an das Geld aufzuheben und völlig frei, jeder für sich, über die Verwendung der gemeinsamen Mittel entscheiden zu können. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde ihre Arbeit vom „Inhaber“ der kleinen Firma bestimmt, in welcher das Team mit verschiedenen Aktivitäten Geld für Auroville verdiente. Ab sofort stand jetzt das Vermögen der Firma jedem einzelnen unbegrenzt und ohne Rechenschaftspflicht zur Verfügung. Das Ergebnis war katastrophal. Innerhalb von zwei Monaten war die Firma pleite.
Zwei der Mitarbeiter versuchten, voll Elan, einen Mercedes von München nach Teheran zu fahren und dort zu verkaufen. Dies war ein recht lukratives Geschäft damals. Eine endlose Karavane von gebrauchten und neuen Fahrzeugen, angefüllt mit Fernsehern und anderen Konsumgütern, pilgerte damals über die Balkan-Route nach Persien, wo man Wagen und Inhalt zum doppelten Einkaufspreis sofort verscherbeln konnte. Tausende von Fahrzeugen wurden jedes Jahr so nach Persien gebracht. Die beiden begeisterten Fahrer hatten beste Absichten, doch ihre Begeisterung war etwas zu groß. Sie fuhren ohne zu schlafen Tag und Nacht durch, schliefen während dem Fahren ein und fuhren den gebrauchten Mercedes, der für teures Geld in Deutschland gekauft worden war, in Griechenland über eine Klippe in den Abgrund. Gott-sei-Dank blieben die beiden unverletzt, doch der Mercedes war Schrott. Des Übels nicht genug, war jedoch der Wagen mit Carne in das Mittelmehrland eingeführt worden, und bei Nicht-Ausfuhr drohte ein Zoll von 300 % des Schätzwertes. Nun musste ein gebrauchter Motor nach Griechenland importiert werden, das Auto wieder instandgesetzt und zurück nach München transportiert werden. Der Schaden betrug schlussendlich etwa das Doppelte des eingesetzten Geldes.
Eine andere kleine Gruppe um einen Musiker aus dem Team wollte eine relativ gute, aber unbekannte Schweizer Jazz-Gruppe bekannt machen und damit Geld verdienen. Der in der Schweiz sehr berühmte deutsche Jazz-Musiker Wolfgang Dauner hatte bei seinem letzten Auftritt in Zürich ein volles Volkshaus als Publikum und wurde Life im Schweizer Fernsehen übertragen. Die Strategie der wiederum begeisterten Teilnehmer an unserem Experiment hatte nun die glorreiche Idee eine „improvisierende Session“ zwischen Wolfgang Dauner und der unbekannten Schweizer Gruppe im Volkshaus zu organisieren. Doch fehlte ihnen zu diesem Unterfangen einfach die Erfahrung. Das Resultat war noch katastrophaler als der Mercedes-Ausflug. Wolfgang Dauner wurde für viel Geld engagiert und das Volkshaus für den Konzertabend angemietet. Doch es kamen nur 4 Besucher. Die Ankündigung des Konzerts erschien in den Züricher Zeitungen am Tag nach dem Konzert. Zu allem Übel hatten die engagierten Organisatoren dann auch noch die Rollen mit den Eintrittstickets verloren. Doch wurde die Vergnügungssteuer bei Konzerten damals über die Ausgabe und Rückgabe von den Tickets geregelt. Nachdem die unbenutzten Tickets also nicht zurückgegeben werden konnten, musste jetzt so viel Vergnügungssteuer bezahlt werden, als wäre das Haus ausverkauft gewesen. Weiter kamen jede Menge Anzeigen auf das Team zu, weil Plakate für das Konzert an Straßenbahnen geklebt worden waren, usw. usw.
Das Fazit des Experiments mit der „bindungsfreien Handhabung von Geld“ war, dass die vorher recht gut florierende kleine Firma innerhalb kürzester Zeit pleite war, der Inhaber all sein Geld verloren hatte und sich das Team in alle Himmelsrichtungen zerstreute. Der kriegsentscheidende Fehler bei einer nicht regulierten Handhabung von Geld war nicht der exzessive private Verbrauch gewesen, sondern die wirtschaftliche Unfähigkeit und mangelnde Erfahrung der Einzelnen, welche auf einmal Ressourcen zur Verfügung hatten, die ihre Kapazität, diese zu handhaben, überstieg. Bei einer geldlosen Gesellschaft dürfte daher die größte Gefahr vermutlich auch nicht aus der Ecke des Egoismus und der Verantwortungslosigkeit kommen. Jene Bürger, die auf der faulen Haut liegen und alle Annehmlichkeiten der gemeinschaftlichen Vermögenswerte genießen, sind wahrscheinlich nicht das Hauptproblem. Es ist die Tatsache, dass die natürliche Kraft der Regulierung der Aktivitäten durch den automatischen Begrenzungsmechanismus des Geldes wegfällt, was zu wirtschaftlicher Sinnlosigkeit und Chaos führen wird, wenn man diesen Mechanismus nicht durch eine neue Kraft ersetzen kann.
Doch welche Kraft könnte dies sein, die eine wirtschaftliche Ordnung und Sinnhaftigkeit in die Handlungen einer ganzen Gesellschaft einfließen lässt, ohne dabei auf neue Begrenzungen, etwa durch eine Bürokratie mit strikten Regeln, zurückzugreifen? Mit der Einführung einer Bürokratie zur sinnvollen Handhabung der gemeinschaftlichen Ressourcen ist nichts gewonnen. Die Freiheit von der Begrenzung und von der individualisierten Zuordnung der Kaufkraft ist ja die eigentliche Errungenschaft der geldlosen Gesellschaft. Bei einer Übernahme der Regulierung durch eine Bürokratie ist nichts gewonnen. Das Umgekehrte, die Reduzierung oder Abschaffung der Bürokratie wäre ja gerade einer der wichtigen Fortschritte in der neuen Gesellschaftsform.
Letztendlich wird diese Frage die Kernfrage nach dem Erfolg oder Misserfolg des Experiments der Geldlosigkeit sein: Welches wird die übergeordnete und ordnende Kraft sein, die den regulatorischen Mechanismus des Geldes ersetzen kann. Diese Kraft existiert sicherlich schon. Die Gesetzmäßigkeit des Geldes existierte in seinem Ansatz und Konzept auch schon lange bevor es eine wirtschaftliche Diversifizierung und Geld gab. Nur konnte sich das Konzept des Geldes ohne diversifizierte Wirtschaft nicht manifestieren. Genauso kann sich vermutlich die neue Kraft oder das neue Prinzip erst manifestieren, wenn die Grundlage, der Nährboden dafür vorhanden ist. Wie dieses neue Prinzip in seinen Einzelheiten aussehen wird, dürfte nicht leicht zu erahnen sein. Vor Einführung des Geldes in der Jungsteinzeit, wäre es auch unmöglich gewesen sich den Mechanismus von Geld vorzustellen. Und selbst bei Einführung des Geldes war es sicherlich kaum möglich sich all jene Formen auszumalen, welche das Geld einmal annehmen würde: Hedge-Fonds, ETFs, Derivate… Trotzdem ist es klar erkennbar, dass sich die Grundlage des Geldes, die simple wirtschaftliche Diversifizierung, stark verändert, und dass sich mit der Grundlage auch das Geld, seine Kraft und Wirkung, mitverändert. Eine Globalisierung beispielsweise bringt neue Elemente mit ins Spiel. So ist ein Quantensprung in der Strukturierung der Wirtschaft und der Gesellschaft durchaus zu erwarten, wenn sich die wirtschaftliche Situation weit genug von ihrer ursprünglichen Konstellation entfernt hat, welche seinerzeit zur Einführung des Geldes geführt hatte. Ob eine Analyse der Veränderung der Wirtschaft über den Zeitraum der letzten zweieinhalbtausend Jahre, im Hinblick auf die veränderten Spielformen des Geldes, einen Ausblick geben könnte wohin der Zug fährt, ist fraglich. Das Ziel ist ja nicht eine Verfeinerung des Mechanismus des Geldes, sondern das komplette Ersetzen des Geldes durch etwas ganz Neues.
Gehen wir zurück zu einer der bedeutendsten geistigen Größen die die Geschichte kennt: Lao Tzu. Um 600 vor Christus, also genau zu der Zeit, in der sich das Geld überall auf der Welt zu manifestieren begann, skizzierte er mit wenigen Worten seine ideale Gesellschaftsform. In den Strophen des 31-ten Abschnitts des Tao De Ching beschrieb er eine Ordnung der Gesellschaft, die auf dem Erkennen der zugrunde liegenden Kraft des Taos basiert:
Das Tao ist unendlich, folglich nicht zu definieren.
Obwohl in seiner Undefiniertheit unscheinbar,
kann die ganze Welt es nicht erfassen, nichts ist höher.
Wenn die Führer es begreifen könnten,
würde alles Leben dieser Erde folgen.
Himmel und Erde wären wieder vereint,
Harmonie würde wie süßer Tau alles durchdringen
Menschen müssten nicht mehr durch Gesetze regiert werden.
Lao Tzu schlägt damals, kurz vor der Manifestation der monetären Gesellschaftsform, eine Gesellschaft vor, die auf dem Erkennen der allem zugrunde liegenden Kraft, dem Tao basiert. Ganz offensichtlich war die damalige Zivilisation zu solch einer Organisation noch nicht bereit. Von Hungersnöten und dem Kampf um die Existenz geplagt, lag die wirtschaftliche Effizienz, das Überleben, ganz im Vordergrund. Heute haben wir in großen Teilen unserer Zivilisation eine Überflussgesellschaft. Die Ausgangslage ist völlig anders.
Auch in der Indischen Mythologie der gleichen Epoche finden wir Ansätze, die einen ähnlichen Verhaltenskodex vorschlagen. Allerdings nicht auf eine ganze Gesellschaft bezogen, sondern nur auf jeden Einzelnen. Die alten Weisen sprachen von einem „inneren Führer“, der, nur so groß wie ein Daumen, in unserer Brust weilt, und welchem zu folgen es gilt. Moderne Philosophen wie Sri Aurobindo sprechen von demselben Phänomen. Wir haben alle in uns eine sehr feine Intuition, welche uns unfehlbar aufzeigt, was in jedem Moment das „Richtige“ ist. Voraussetzung ist, dass wir unsere eigenen Vorstellungen und Vorlieben komplett ausschalten und uns tatsächlich, ganz ehrlich und ungeschönt, dem Vorschlag der Intuition öffnen.
Bringen wir die Sicht Lao Tzus und der Indischen Mystiker in einen modernen Kontext, so könnte man vielleicht sagen, es gibt eine zugrunde liegende allumfassende „Vernunft“. Würden wir es schaffen uns dieser Vernunft zu öffnen, ihr die Möglichkeit geben sich in unserer Gesellschaft zu manifestieren, unsere individuellen Fähigkeiten und Sehnsüchte innerhalb dieser Vernunft auszuleben und nicht innerhalb einer selbstgebastelten Logik, mentalen Akrobatik oder gar ego-bezogener Rücksichtslosigkeit, dann wäre es denkbar, dass sich auf Basis dieser intuitiven Vernunft ein Mechanismus der Regulierung entwickelt, ein Automatismus, welcher eventuell die regulierende Kraft des Geldes ersetzen könnte. Wie dieser Mechanismus im Einzelnen aussehen würde wissen wir nicht. Doch dass es konkrete Formen und Mechanismen, oder sogar Automatismen der allem zugrunde liegenden Vernunft geben würde wäre wahrscheinlich. Geld ist ja auch die konkrete Manifestation eines abstrakten Prinzips. Vielleicht gibt es ganz viele solche abstrakte Prinzipien, von denen sich halt das eine, das monetäre Prinzip, bei uns manifestiert hat. Eine allem zugrunde liegende, rücksichtnehmende Vernunft ist auch ein abstraktes Prinzip, welches vermutlich das Potential zu einer ganz konkreten Manifestation hat. Diese Manifestation der intuitiven, gnostischen Vernunft, wäre vielleicht eine Basis für eine neue Gesellschaftsform, die sehr viel effizienter, sehr viel sanfter und rücksichtsvoller, gleichzeitig aber vielleicht auch sehr viel mächtiger wäre, als das, was wir bis jetzt kennen. Dabei ist die beschriebene Kraft nicht die mentale Logik. Mit mental logischen Konzepten sind schon Marx und Lenin gescheitert und viele andere politische Denker. Die mentale Logik konnte sich nicht einmal gegenüber der Kraft des Geldes, also des Kapitalismus behaupten.
Das Interessante an einer neuen Gesellschaftsform auf Basis eines intuitiven Wissens und einer intuitiven Vernunft ist dabei nicht das Wegfallen der negativen Nebenwirkungen der Geldstruktur. Das Ziel ist nicht eine Hippi-Kultur, in der wir alle mit Blümchen im Haar uns gegenseitig lieb haben und nicht weh tun. Nein, der Wegfall der negativen Auswirkungen der monetären Struktur ist der unwichtigere Teil der Revolution. Wichtiger ist das, was sich auf der positiven Seite manifestieren könnte. Die Einführung des Geldes hat auch große Errungenschaften mit sich gebracht. Welche phantastischen Formen der Manifestation eines allem zugrunde liegenden intuitiven Wissens um das „Richtige“ erwachsen könnten, können wir überhaupt nicht erahnen. Das simple sich nach Innen Wenden und die einfache Abfrage: „Richtig“ oder „Falsch“, hätte, wenn generell erfolgreich, auf kollektiver Ebene vermutlich bis heute unvorstellbare Entwicklungen und Manifestationen zur Folge. Und diese wären nicht nur im Materiellen sichtbar und wichtig. Das mit-Einbeziehen mystischer Bereiche, unerkannter Bewusstseinsebenen, eventuell völlig neuer psychologischer Strukturen, wären die weitaus wichtigeren Früchte einer solchen Gesellschaft.
Wohin die Reise unserer Zivilisation geht ist bis jetzt ungewiss. Dass sich unsere Wirtschaft, unsere Technik und die Strukturen des Geldes (welche im Moment all unser Leben kontrollieren) verändern ist klar. Auch dass sich die Veränderung exponentiell beschleunigt ist klar. Ein Sprung in ein ganz neues System wird daher mit jedem Tag wahrscheinlicher. Schon haben wir die Kontrolle über das Geld verloren. Die „Märkte“ regulieren sich selbst, das Geld entfaltet seine Strukturen ohne unser bewusstes Zutun. Die Frage ist nun, ob wir passiv abwarten sollen bis sich eventuell eine neue Gesellschaftsform manifestiert, welche die jetzige, die monetäre, ablöst, oder ob wir Versuche einleiten sollten um Formen zu finden, die Strukturierung der Gesellschaft durch das Geld abzulösen. Vielleicht gibt es ja viele Möglichkeiten eine effizientere Gesellschaftsform zu entwickeln und wir könnten selbst wählen welche Form der post-monetären Gesellschaft wir umsetzen möchten.
Das in Auroville derzeit statfindende, einzige groß angelegte Experiment zur Entwicklung von Alternativen zur monetär strukturierten Gesellschaft, zielt auf eine Mikro-Gesellschaft mit 50.000 Einwohnern ab. Die geldlose Elektrizität ist nur ein kleiner Schritt, welcher von der Firmengruppe um die Marke Niveau élevé mit der Bereitstellung von sechs Windkraftanlagen unterstützt wurde. Der nächste geplante Schritt ist kostenloses Wasser für alle Einwohner Aurovilles. Bei der großen Wasserknappheit in Südindien ist dieser Schritt an den Bau der ökologischen Meerwasser-Entsalzungsanlage gekoppelt, welche von Niveau élevé unterstützt wird. Ein weiterer logischer Schritt wäre ein voll ökologischer, elektrobasierter Verkehr in Auroville, welcher ebenso kostenlos sein sollte. Die Unterhaltskosten, also vor allem auch Strom, sind ohnehin schon kostenlos in Auroville. Alle drei Bereiche: Elektrizität, Wasser, Verkehr, sind relativ einfach umzusetzen. Man kann diese schlecht an dritte verkaufen, sich daran übermäßig bereichern oder ohne, dass dies auffallen würde, im großen Stil verschwenden. Schwieriger wird es mit den weiteren Bereichen, etwa das Essen. Doch auch hier sind schon Überlegungen und Versuche im Gange. Letztendlich macht jeder Bereich der geldlosen Wirtschaft es den nächstfolgenden einfacher. Mit kostenlosem Strom, Wasser und Verkehr, kann man Lebensmittel in den Auroville-eigenen Farmen eher geldlos produzieren und verteilen, als wenn die Lebensmittel der erste Bereich des Experiments gewesen wäre.
Wohin die Reise geht und wie lange es dauert, bis konkrete Resultate absehbar sind, ist völlig offen. Aber eines ist klar: Die schlechteste Variante wäre es, die geldlose Gesellschaft gar nicht auszuprobieren. So hoffen wir mal, dass sich etwas Schönes manifestiert und freuen uns darüber, dass wir an dieser spannenden Entdeckungsreise teilhaben dürfen.