Soziales Engagement
Heutzutage versucht beinahe jedes größere Unternehmen sich ein „soziales Image“ zu geben. Dabei wird möglichst werbewirksam für alles Mögliche Geld gespendet, was gut klingt und hoffentlich die Welt von ihrem Elend befreit. Bei genauerem Hinsehen jedoch dürfte die Frage nach dem tatsächlichen Wert eines solchen Engagements in den allermeisten Fällen nicht so eindeutig ausfallen. Es gibt da wohl drei grundsätzliche Fragen: Zum einen, ob die Spende überhaupt das bewirkt, für was sie gleistet wird. Zum anderen, ob Geld überhaupt ein geeignetes Mittel für den Transport von Gutem Willen, von Mitgefühl oder Liebe ist, oder ob die Eigendynamik von Geld das Ankommen der Opfer-Leistung beim Bedürftigen nicht eher erschwert. Als drittes stellt sich dann natürlich auch die Frage, ob Wohltätigkeit an sich in der heutigen Situation überhaupt etwas Sinnvolles ist, oder ob es nicht bessere Wege gibt sein Verantwortungsbewusstsein und Engagement in die Tat umzusetzen.
Bei Uhrenmarken im gehobenen Bereich nimmt die Einbindung der Marke in ein Gefüge aus Sponsorentätigkeit eine ganz besonders große Rolle ein. Man sagt, um eine Nobelmarke am Markt zu halten, bedarf es eines jährlichen Werbe-Etats von mindestens 20 Millionen Dollar. Es ist klar, dass von solch einem Budget nur ein sehr geringer Teil tatsächlich für „charity“ oder „sponsoring“ aufgewendet wird. Die Werbeträger, wie die Medien etc. verschlingen in der Regel den allergrößten Teil des aufgewendeten Geldes.
Nachdem Niveau élevé immer versucht hinter die Oberfläche zu blicken, stellen wir uns der Frage nach der Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit des Sponsorings zu Werbezwecken. Niveau élevé wird sich ohnehin nicht an der allgemeinen Materialschlacht der Werbetätigkeit in der Uhrenbranche beteiligen, das steht außer Frage. Doch wird Niveau élevé hoffentlich auch Geld mit der Herstellung seiner Uhren verdienen und möchte es möglichst sinnvoll verwenden. Wir gehen davon aus, dass nicht nur die Marke Niveau élevé keine Standard-Marke ist, sondern dass vor allem auch die Träger unserer Uhren oder unseres Schmucks eher Menschen sind, die Freude daran haben, Dinge zu hinterfragen und gerne mehr wissen wollen als üblich. Deswegen teilen wir unsere Überlegungen zum Sponsoring und zur Umsetzung unserer übergeordneten Ziele mit denen, die sich für unsere Marke interessieren.
Niveau élevé wird sicherlich kein Geld für Plakatwerbung an Flughäfen ausgeben oder ganzseitige Anzeigen in Modemagazinen schalten. Das generieren eines Bedarfs, der eigentlich überhaupt nicht vorhanden ist, das „Erschaffen“ eines künstlich aufrechterhaltenen „Flairs“, welches eigentlich keine Substanz hat, sondern eine Suggestion und somit eine Illusion ist, widerspricht unserer Grundphilosophie. Entweder das gedankliche und stilistische Grundkonzept der Marke findet ihre „Nische“ in der psychologischen Struktur einer hinreichenden Anzahl von Begeisterten, oder Niveau élevé wird stilvoll und ohne viel Lärm eine absolute Insider-Marke bleiben, die im Atelier-Stil Uhren und Schmuck für einen kleinen Kreis von Kennern herstellt. Nichtsdestotrotz wird Niveau élevé immer Teil einer Gruppe von Firmen und Projekten sein, welche sich für gewisse Ziele einsetzt und welche in ihrer Ausrichtung das Alternative sucht, nicht die Gewinnmaximierung oder einen hohen Aktienkurs. Sollten die Produkte von Niveau élevé Gewinn einbringen, so wird dieser im Rahmen der Projekte, welche die Firmengruppe um Niveau élevé durchführt, zum Einsatz kommen.
Doch nun zum eigentlichen Thema dieses Kapitels: das soziale Engagement im Rahmen der Marke Niveau élevé, unsere bisherigen Erfahrungen in dieser Hinsicht und unser Konzept, etwas zu erreichen oder zu fördern, was uns am Herzen liegt.
Die Marke Niveau élevé geht letztlich aus zwei Firmen hervor, welche den Kern einer ganzen Gruppe von Firmen bilden, die inhaberrechtlich miteinander verbunden sind. Dies ist zum einen die Diamantschleiferei Aditi Diamonds Pvt. Ltd., zum anderen Gold-in-Glass Pvt. Ltd. Wirtschaftlich gesehen stellen diese beiden Firmen heute den weitaus kleineren Teil der Gruppe dar. Sie sind jedoch mit ihrem Wissen, ihrem Können, und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten im Zentrum der Gruppe. Die Gruppe enthält neben den Firmen in der Schweiz sowie an der Antwerpener Diamantbörse auch noch weitere, so z.B. einen philosophischen Verlag in St. Petersburg, Russland, und Firmen die im alternativen Energiesektor tätig sind.
Die Grundphilosophie und Motivation unserer Arbeit war von Anfang an nicht das Geld oder der wirtschaftliche Erfolg. In dem Ausspruch eines indischen Philosophen liegt eigentlich die Kernaussage, welche unsere Arbeit immer begleitet hat: „Ein zielloses Leben ist ein elendes Leben. Aber wenn du das Ziel deines Lebens definierst, dann sieh zu, dass es so hoch wie möglich ist. Denn von der Qualität deines Zieles hängt die Qualität deines Lebens ab.“ Wirtschaftlich erfolgreich zu sein ist sicherlich befriedigend. Aber dafür sein Leben herzugeben und sich Tag um Tag abzurackern um letztlich irgendwo im Mittelfeld von Millionen von Firmen zu landen, die ebenso erfolgreich sind, war uns nie interessant genug. Viel interessanter ist es, Dinge zu versuchen, die noch niemand probiert oder erreicht hat, oder alle Arbeit auf einen ethischen Kodex zu stellen, der eben nicht das Geld an die oberste Instanz setzt.
Im Zuge dessen haben wir vieles ausprobiert, im sozialen, technischen, ästhetischen Bereich, in Bezug auf die Umwelt und im philosophischen. Es hat bei weitem nicht alles funktioniert, was wir uns vorgenommen haben. Doch die innere Erfüllung einer Arbeit und eines Lebens am Rande des Bekannten und in der Welt abstrakter Werte und Ideen erschien uns immer ungleich hochwertiger als der monetäre Erfolg. Somit blicken wir zurück auf eine lange Reihe von Erfahrungen und Experimenten, welche – erfolgreich oder nicht – einen Schatz von Erlebnissen und Wissen darstellen. Diese skizzieren nicht nur unsere eigene innere, oder bewusstseinsmäßige Landschaft, sondern sind somit auch die Basis für unsere Ziele und unsere Arbeit.
Die Versuche im sozialen Bereich waren vermutlich diejenigen, die am wenigsten sichtbare Erfolge hervorgebracht haben. Einerseits ist es vielleicht besonders schwer, kulturübergreifend soziale Konzepte umzusetzen. Andererseits kann man den Erfolg oder Misserfolg von sozialem Engagement vielleicht auch nicht kurzfristig ablesen sondern muss ihn im langfristigeren Kontext sehen. Doch die soziale Arbeit in Indien, vor allem im Rahmen unserer Diamantschleiferei, hat uns sehr skeptisch werden lassen, was das Ergebnis von dem Versuch ist, ein westliches Werteverständnis in einer asiatischen Kultur umzusetzen.
Die meisten Versuche, im sozialen Bereich etwas zu leisten, fanden in den frühen 80-er Jahren statt. Eine Zeit, in der im südlichen Indien noch ein ganz anderes kulturelles Klima herrschte als jetzt. Der kulturelle Gegensatz von West und Ost war noch sehr viel krasser als er heute ist.
Da unsere Arbeiter in der Schleiferei in Pondicherry teilweise aus den umliegenden Dörfern stammen, wurden oft Anliegen aus kleinen Gemeinden an uns heran getragen. So kam 1982 ein Vorschlag aus dem Dorf Kottakarai, etwa 10 km nördlich von Pondicherry, auf uns zu: Man versuchte eine kleine Bücherei einzurichten in welcher kostenlos Bücher an die Dorfbewohner verliehen werden sollten. Ein Gebäude dafür war schon bereit gestellt, doch was noch fehlte waren die Bücher. Dafür wurde nun nach einem Sponsor gesucht. Bereitwillig stellten wir das Geld zur Verfügung und es wurden in Madras (dem heutigen Chennai) etwa 2000 Bücher gekauft, vorwiegend in Tamil, der Landessprache. Doch sobald die Bücher in Kottakarai ankamen begann das Drama. Es kristallisierten sich zwei Gruppen in dem Dorf heraus, die sich darum stritten wer die Bücher in Plastik einbinden durfte und die Bücherei betreiben sollte. Solange der Streit nicht entschieden war, ging nichts voran mit dem Projekt und schlussendlich ging eine der beiden Parteien zu Gericht und klagte darum, das Unternehmen verwalten zu dürfen. Das Gericht erließ eine Verfügung, dass niemand den Raum der Bücherei betreten durfte, bis ein Gerichtsentscheid vorlag. Doch das Gebäude der Bücherei war eine einfache aber große Hütte, gebaut mit Granitpfählen zwischen denen sich Lehmwände bis zum Dachsstuhl aus Holz zogen, welcher eine Art Strohdach trug. In solch einem Gebäude muss eigentlich täglich nach Termiten Ausschau gehalten werden, ansonsten passiert was passieren musste: etwa 6 Wochen später hatten die Termiten nicht nur alle Bücher aufgefressen, sondern auch noch den Dachstuhl des Gebäudes. Daraufhin stürzte das Gebäude ein und von dem Projekt blieb nichts übrig, als ein angefangener Rechtsstreit zwischen zwei verfeindeten Gruppen von Dorfbewohnern.
Aus dem Dorf Edayanschavadi, ebenfalls etwas nördlich von Pondicherry, kam die Jugend-Organisation auf uns zu, mit dem Anliegen dem Dorf zu helfen den Dorfteich zu befestigen. Zu dem damaligen Zeitpunkt (beginn der 80-er Jahre) gab es in einem Dorf wie Edayanchavadi keine individuellen Toiletten oder fließend Wasser. Die Menschen wuschen ihre Wäsche im Dorfteich, badeten auch teilweise dort und entnahmen Wasser zu allen möglichen Zwecken. Das Trinkwasser oder Wasser zum Kochen wurde jeden Morgen von den Frauen an einer Handpumpe am Dorfplatz geholt. Der Dorfteich hatte also eine sehr wichtige Funktion für die Familien des Dorfes. Das Problem damit war, dass in Südindien 85 % des jährlichen Niederschlags im Monsun von Ende Oktober bis Anfang Dezember nieder geht. In dieser Zeit muss sich der Dorfteich auffüllen und dann sein Wasser möglichst bis zum Beginn des nächsten Monsuns halten. Bei einem starken Monsun jedoch lief der Dorfteich über. Und dies bedeutete dann meist, dass der Damm um den Dorfteich an der Stelle des Überlaufens aufgeweicht wurde und brach. Somit lief der Teich aus und das Dorf hatte ein Jahr ohne genügend Wasser vor sich.
Der Vorschlag der Jugend-Organisation war nun, dass wir das Material für einen kontrollierten Überlauf stellen sollten. Die Dorfjugend würde die Arbeit verrichten und man würde mit Granit-Steinen und Beton an der Rückseite den Damm des Teichs befestigen, etwa 30 cm unter der sonstigen Dammkrone, so dass im Falle eines starken Monsuns das überschüssige Wasser ablaufen kann ohne den Damm zu brechen.
Gesagt getan, wir stellen einen Lastwagen Granit-Pflastersteine zur Verfügung, zwei LKWs Kies und genügend Sand und Zement. Am ersten Tag waren dann etwa 30 bis 40 Jugendliche vor Ort, die mit Elan und Schwung die Arbeit begonnen. Am zweiten Tag kamen nur noch 3 Leute, am dritten Tag kam gar niemand. Auf unsere Nachfrage was los sei, antwortete man uns, man möchte Geld für die verrichtete Arbeit. Doch das war nicht unsere Vereinbarung, also weigerten wir uns die Dorfjugend zu bezahlen. Die Folge war, dass niemand mehr erschien um das Projekt fertig zu stellen. Wir stellten also zwei „Watchmen“ bei dem Material auf, damit nicht auch noch das Material gestohlen wurde und warteten ab. Nichts passierte. Nach einem Monat fragten wir nach, was denn die Vorstellungen der Dorfjugend sei, um die Arbeit fertig zu stellen. Die Forderungen waren astronomisch. Man wollte etwa den dreifachen Lohn pro Tag, gemessen am normalen Lohn von gelernten Maurern. Wir weigerten uns. Nachdem dann wieder nichts passierte, wollten wir das gestellte Material nicht verkommen lassen und heuerten aus dem Nachbardorf ein Team von Maurern an, um den Überlauf zu bauen. Doch die Bewohner von Edayanchavady drohten den Maurern aus dem Nachbardorf, sie würden sie umbringen, wenn sie in Edayanchavady arbeiten würden. Der Plan schlug also fehl. Um noch zu retten was zu retten war, willigten wir nach längerem Zuwarten schließlich ein, den dreifachen Lohn eines normalen Maurers für die ungelernten Jugendlichen zu bezahlen und der kontrollierte Überlauf wurde mehr schlecht als recht schlussendlich noch vor dem einsetzenden Monsun gebaut. Dies war allerdings dann das letzte von etlichen Projekten, bei denen wir Initiativen aus Dörfern finanzierten.
Ein weiteres Projekt, bei dem wir uns bereit erklärten, dem Dorf Bommayapalayam an der Küste nördlich von Pondicherry zwei Batterien von Damen-Toiletten zu errichten, scheiterte schon am Widerstand einiger Bewohner aus eben demselben Dorf, und auch ein Projekt bei dem wir einen Dorf-Handpumpen-Brunnen durch einen Brunnen mit Elektropumpe und einem Wassertank ersetzten nahm letztlich einen nicht sehr befriedigenden Ausgang.
Es gab jedoch ein Projekt im dörflichen Umfeld, welches man als Erfolg bezeichnen kann. Wir errichteten eine Abendschule für Kinder, die tagsüber arbeiten mussten, um mitzuhelfen ihre Familien zu ernähren. Zu der damaligen Zeit gab es in den Dörfern viele „Bauern ohne Land“. Dies waren Familien die ein oder zwei Kühe hatten und ein paar Ziegen oder Schafe, die aber kein eigenes Land besaßen. Es mussten daher ein oder zwei Kinder der Familie die Tiere tagsüber an den Straßenrändern entlang treiben wo es ab und zu mal etwas grünes zum Fressen gab, schnell mal in ein Feld treiben, wenn der Bauer gerade nicht aufpasste, oder in einen privaten Garten. Wie dem auch sei, Aufgabe der Kinder war es, am Abend mit den Tieren vollzählig und möglichst satt zurück zu kommen. Die mageren Kühe gaben dann ein oder zwei Liter Milch und die Ziegen wurden ab und zu verkauft. Dies war ein wichtiges Zubrot zum Unterhalt der Familie, für das meistens ein oder zwei Kinder nicht zur Schule gehen konnten. Es bestand auch damals schon die allgemeine Schulpflicht und ein Verbot von Kinderarbeit, doch konnten diese Gesetze auf Grund der finanziellen Notlage der Landbevölkerung nicht wirklich durchgesetzt werden. Heute ist dies anders, Indien hat in dieser Hinsicht einen riesen Fortschritt erzielt.
Unser Schulprojekt bot nun jenen Kindern aus zwei Dörfern, welche tagsüber arbeiten mussten, die Möglichkeit am Abend ein paar Stunden in die Schule zu gehen um Lesen und Schreiben zu lernen, nicht nur in Tamil, der Landessprache, sondern auch in Englisch. Dieses Angebot wurde sehr gut angenommen und da wir sowohl das Gebäude als auch die Lehrer stellten, gab es keine Verwaltungsprobleme. Der Unterschied zu den anderen Projekten war, dass wir hier alles selbst in der Hand hatten und nicht auf die Mitarbeit lokaler Gruppen angewiesen waren.
Anderen Organisationen, die versuchten mit Spendengeldern im größeren Stil zu helfen, erging es nicht sehr viel anders als uns. Es gab Anfang der 80-er Jahre ein Bauprojekt am nördlichen Stadtrand von Pondicherry, bei dem ca. 50 kleine Häuser für Obdachlose Familien in Pondicherry erstellt wurden. Die Siedlung war gedacht für Riksha-Fahrer, welche kein eigenes Dach überm Kopf hatten, deren Familie auf einer Decke auf der Straße lebte und deren Riksha und die Muskelkraft des Familienvaters das einzige Einkommen darstellten. Laut Aussage des damaligen Deutschen Generalkonsuls, Herr Merten, wurde die Siedlung vor allem mit Geld der Organisation Brot für die Welt gebaut. Leider wurde das Projekt in keiner Weise angenommen. In den Häusern zog nie jemand ein. Entweder die Riksha-Fahrer zogen es vor auf der Straße in Pondicherry zu leben, wo sie Wasser aus den nächstgelegenen Hydranten hatten, und wo ihr Arbeitsplatz, die Straße, war. Oder es gab irgendwelche lokal-politische Streitereien, die verhinderten, dass die Siedlung jemals bezogen wurde. Jedenfalls standen die Häuser jahrelang leer, bis sie verfallen waren und die alten Ziegelsteine nachts gestohlen wurden. Irgendwann waren dann alle Spuren der vor ein paar Jahren frisch gebauten Häuser verschwunden, und es wucherte nur noch Dornengestrüpp auf dem ehemaligen Siedlungsgelände.
Doch nicht nur außerhalb unserer Betriebe stießen wir auf Probleme im Bereich soziales Engagement. Auch innerhalb unserer eigenen Produktionsstätten lief in diesem Bereich längst nicht alles so, wie wir uns dies vorstellten. Gegen Ende der 80-er bis Mitte der 90-er Jahre beschäftigten wir in Aditi Diamonds bis zu 300 Diamantschleiferinnen und Schleifer. Wir machten von Anfang an keinen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Arbeitern uns setzten als Aufnahmekriterien für Neubewerber einen sehr hohen Standard an. Wir verlangten mindestens 10 absolvierte Schuljahre um jemandem zum Facharbeiter auszubilden. Unsere Mitarbeiter waren also durchaus Leute mit relativ hohem Bildungsniveau.
Es zeichnete sich bald ab, dass die Frauen die konzentrierteren Arbeiter waren. Da wir zu dem schon recht guten Grundgehalt noch eine relativ hohe Vergütung pro Stück der geschliffenen Diamanten bezahlten, verdienten die weiblichen Arbeiter, sobald sie gut angelernt waren, irgendwann mehr also die männlichen Kollegen, da sie eine höhere Stückzahl produzierten. Als das erste Mal eine Frau im Betrieb mehr als die Männer in der Lohntüte hatte, traten die Männer geschlossen in den Streik und weigerten sich ihren Lohn entgegenzunehmen. Wir ignorierten dies, und irgendwann mussten die Arbeiter die Situation schlucken und vergaßen ihren Groll. Die Situation flammte jedoch wieder auf, als wir eine der besten Arbeiterinnen zu einem „Junior Supervisor“ aufstiegen ließen. Jetzt herrschte eine bis dahin nicht gekannte Situation in unserem Betrieb. Eine junge Frau überwachte und instruierte ihre männlichen Kollegen und war zuständig für die Arbeit von etwa 10 Arbeiterinnen und Arbeitern. Dies löste nicht nur einen Streik in der Fabrik aus, sondern auch anonyme Drohbriefe an das Management, in denen der Manager mit Morddrohungen und allem Möglichen konfrontiert wurde. Auch hier setzten wir unsere westlichen Vorstellungen von der Gleichberechtigung der Geschlechter einfach stur um und blieben hart. Irgendwann mussten die Arbeiter auch diese bittere Pille schlucken und der Produktionsbetrieb lief wieder reibungslos mit Frauen und Männern als Supervisoren.
Was wir jedoch nicht bedacht hatten, war die soziale Struktur der einzelnen Familien. Langsam wunderten wir uns, warum unsere Mädchen und Frauen immer älter wurden und nicht in dem Maße heirateten, wie man das erwarten würde. In Indien stellte es zu den damaligen Zeiten eine große finanzielle Belastung für eine Familie dar, ihre Töchter zu verheiraten. Zum einen musste die Familie der Frau an die Familie des Mannes ein sogenanntes „Dhauri“ bezahlen. Dies war eine stattliche Summe Geldes, vergleichbar der Mitgift in den Europäischen Ländern. Nur war diese Mitgift, umgerechnet auf die finanziellen Verhältnisse der Familien in Indien, ungleich schwerer aufzubringen. Außerdem heirateten die Töchter aus der Familie hinaus und wechselten ihren Aufenthalt in die Großfamilie des Mannes. Sie gingen damit ihrer elterlichen Großfamilie als Einnahmequelle verloren. Alles zusammengenommen wurde bei einem Supereinkommen einer Tochter die Motivation der Familie, diese zu verheiraten, sehr gering. Da aber in Indien die Kinder nicht selbst heiraten sondern nur von ihren Eltern verheiratet werden, ergab sich das Phänomen, dass wir wohl etlichen Arbeiterinnen mit ihrem für Frauen sehr ungewöhnlichen Gehalt nicht ein glänzende Zukunft geebnet hatten, sondern ihr Leben verkorksten, da sie von ihren Familien nicht mehr verheiratet wurden.
Heutzutage ist die Situation in Indien nicht mehr die gleiche wie damals. Die jungen Leute sind selbstbewusster und die Gleichberechtigung der Frau ist im Vergleich zu den 80-er und 90-er Jahren weit vorangeschritten. Doch bleibt ein klares Fazit aus all unseren Bemühungen im sozialen Bereich stehen: Ein kulturübergreifendes Engagement, welches auf westlichen Werten und westlichem Denken beruht, ist in beinahe allen Fällen in einer völlig anderen Kultur zum Scheitern verurteilt. Man kann in einer anders strukturierten Gesellschaft trotz gutem Willen, eigenen moralischen oder ethischen Werten und mit Geld nicht das umsetzen, was man sich so vorstellt.
Ein ganz krasses Beispiel für diese Schlussfolgerung ist eine Begebenheit die sich 1984 in unserer Schleiferei abspielte. Pondicherry war die einzige französische Kolonie auf indischem Boden und hat daher etliche katholische Kirchen und auch von Ordensbrüdern geleitete Schulen. Die Schulen sind hoch angesehen und haben ein überdurchschnittliches Niveau. Eines Tages kam ein Pater auf uns zu und bat uns einen Schützling von ihm, einen 14 oder 15-jährigen „Hugo“ im Diamantschleifen auszubilden. Hugo hatte eine harte Vorgeschichte. Er war als „Bonded Labour“, also als Kindersklave von seiner Familie verkauft worden und irgendwann von dem französischen Kloster in Pondicherry aus der Sklaverei wieder freigekauft worden. Er war angeblich ein Waisenkind, zumindest war keine Beziehung zu seinen tatsächlichen Eltern mehr feststellbar. Das Problem von „Bonded Labour“, also der Verkauf von Kindern in ein Arbeitsverhältnis, bei dem das Kind seine Familie verlässt und dann einem Arbeitgeber „gehört“, gibt es in diesem Sinne heute kaum mehr in Indien, oder zumindest nicht in dem Maße und so offen, wie es in den anfänglichen 80-er Jahren der Fall war. Kinderarbeit war seinerzeit in Indien stark verbreitet und erstreckte sich vor allem auf die Landwirtschaft, die Gastronomie aber auch auf einige Fabriken. So waren in der Zündholzindustrie und Feuerwerksindustrie Kinder bessere Arbeitskräfte als Erwachsene. Beim Einstecken von Zündhölzern in Löcher von Schablonen, um den Phosphor-Kopf auf die Hölzer aufzutragen, hatten Kinder mit ihren guten Augen und flinken Fingern bessere Produktionsraten als Erwachsene.
Wir nahmen also Hugo bereitwillig in die damals noch recht kleine Schleiferei auf und freuten uns über einen zunächst sehr motiviert wirkenden neuen Lehrling. Sehr bald zeigte sich aber, dass die psychologische Situation des Jugendlichen es unmöglich machte sich in ein Team einzugliedern. Unsere Schleifer fingen seinerzeit sehr früh zu arbeiten an und hatten daher auch sehr früh wieder Arbeitsschluss. Frühstück und Mittagessen bekamen sie von unserer Kantine in der Fabrik. So gab es um halbacht Uhr morgens heiße Milch mit Keksen und später ein normales indisches Mittagessen. Die psychologische Konstellation von Hugo war jedoch so kaputt, dass er bei jedem Frühstück, bei dem er das Gefühl hatte, irgendjemand hatte ein klein bisschen mehr Milch in der Tasse, Schreikrämpfe bekam. Auch in anderen Bereichen konnte er sich in keiner Weise in die soziale Struktur innerhalb der Fabrik eingliedern, so dass wir schlussendlich den Pater mitteilen mussten, dass wir das Ausbildungsverhältnis abbrechen müssen.
Der Umgang mit Hugo und die Gespräche mit dem französischen Jesuiten-Pater führten zu einem guten Verständnis der damaligen Situation mit „bonded Labour“ in Indien. Wenn man sich die Aktionen des französischen Klosters dann mal genauer betrachtet und hinter den zunächst hervorstechenden guten Willen der Patres schaut, entdeckt man aber einen erschreckenden Mechanismus. Bei den damaligen Preisen in Indien kostete ein Mittagessen in einem Restaurant 2 bis 3 Rupien. Der übliche Arbeitslohn eines Arbeiters betrug 800 bis 1000 Rupien. Ein Kind in die Sklaverei zu verkaufen brachte vielleicht 5000 Rupien. Das Kloster zahlte für Kinder, die sie aus der Sklaverei zurück kauften, etwa 20.000 Rupien. Somit erhielt ein Unternehmer, der mit Kindern als „Bonded Labour“ arbeitet, von den französischen Patres etwa das Vierfache von dem, was er bezahlt hatte. Dafür konnte er sich dann vier neue Kinder kaufen. Letztendlich wurde somit mit französischen Spendengeldern ein schwunghafter Menschenhandel angekurbelt. Sklavenkinder frei zu kaufen macht sich bei Spendenaufrufen super-gut. Es kommen viele Spenden in die Kasse, und es wurden mit dem Geld auch tatsächlich Kinder aus dem Verhältnis der „Bonded Labour“ ausgekauft. Doch hatte dies in keiner Weise eine Verbesserung in diesem Bereich zur Wirkung. Im Gegenteil, es kurbelte den Handel mit Menschen noch an! Wenn für Kindersklaven von christlichen Organisationen ein vierfacher Marktpreis bezahlt wird, dann ist dies nicht dazu geeignet diesen unmenschlichen Wirtschaftszweig einzudämmen.
Gottseidank hat die wesentliche bessere wirtschaftliche Allgemeinsituation Indiens und die Arbeit der Behörden das Phänomen der „Bonded Labour“ Großteils zum Erliegen gebracht. Doch auf unsere Diskussion bezüglich dem sozialen Engagement zurückkommend, muss man klar sehen, dass hier die Opferbereitschaft europäischer Christen genau die gegenteilige Wirkung hatte, als beabsichtigt.
Bei all den Versuchen, westlicher karikativer Verbände in Indien zu helfen, gab es nur sehr wenig Erfolg. Ein positives Beispiel sei jedoch zum Abschluss noch erwähnt. Es gab damals, und gibt noch heute, eine Organisation „Worth Trust“. Diese Organisation, von dem Schweden Dr. Paul Brand gegründet, öffnete 1963 ihre erste Betriebsstätte in Südindien. Seinerzeit begann die Organisation damit leprageschädigten Behinderten eine Ausbildung zu verschaffen um sie zu befähigen sich ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Später bildeten die Arbeitsstätten des „Worth-Trust“ allgemein jede Art von Behinderte aus. Das Prinzip Behinderten mit viel technischem Knowhow und exzellenten Präzisionsmaschinen eine Ausbildung zu verschaffen war ein umwerfender Erfolg. Die Produktionsstätten hatten seinerzeit die hochpräzisen schweizer Schaublin-Drehbänke und -Fräsen installiert, auf denen wir unsere Diamantscheiben im „Worth-Trust“ abdrehen ließen. Die Arbeit, die dort geleistet wurde, stach bei weitem über die damals verfügbaren Möglichkeiten Indiens heraus. Es wurden hochpräzise „Pins“ für Vergaser der indischen Autoindustrie angefertigt, Präzisions-Aufträge für mittelständische Betriebe ausgeführt und alle mögliche Teile gefertigt, bei denen die damalige Indische mechanische Industrie überfordert war. Die Werkstätten hatten volle Auftragsbücher und konnten nicht nur ihre Ausgaben decken, sondern erwirtschafteten noch dazu Gewinne. Die behinderten Mechaniker, also z.B. Jugendliche die nur einen Arm hatten, waren nach einer 3-jährigen Ausbildung als Feinmechaniker in der Industrie so gefragt, dass auf 10 Stellenangebote nur ein Ausgebildeter kam. Auch wir versuchten Abgänge aus dem „Worth-Trust“ zu bekommen, ohne Erfolg. Für die Behinderten war die Ausbildung oft die Rettung aus einem Leben in Armut und Unwürde. Für die Industrie waren die hochmotivierten und überdurchschnittlich ausgebildeten Mechaniker ein Segen, und die Tatsache, dass die Betriebe noch Gewinn erwirtschafteten, machte es möglich mehr und mehr Betriebsstätten einzurichten.
Die Bilanz unserer Diskussion um die Effizienz, bzw. die Sinnhaftigkeit von Spenden zu gemeinnützigen Zwecken sieht also, basierend auf unseren eigenen Erfahrungen, nicht so positiv aus. Wenn wir das gewerbsmäßige „Fundraising“ noch hinzunehmen, trübt sich das Bild noch weiter ein. „Fundraising“ bedeutet, dass jemand, oder eine Organisation, auf professionelle Art und Weise Spenden für eine andere Organisation einsammelt. Nehmen wir mal an es gibt eine Organisation XYZ, welche irgendeine förderungswürdige Tätigkeit ausübt. Nun tritt eine Fund-Raising-Firma an diese Organisation XYZ heran und bietet an, ihnen das Recht Spenden für XYZ mittels Sondermarken für 100.000,- € abzukaufen. Für die Organisation XYZ bedeutet dies zusätzliche Einnahmen in Höhe von 100.000,- € plus einen größeren Bekanntheitsgrad, aufgrund der verkauften Sondermarken. Die professionelle Fundraising Organisation bezahlt also 100.000,- € an XYZ und beginnt mit Verkauf von Sondermarken Geld, angeblich für die Zwecke von XYZ einzusammeln. Das Drucken von Sondermarken, die Organisation des Verkaufs, usw. kosten der Fundraising-Firma vermutlich nochmal etwa 100.000,- € . Die Fundraising-Firma hat also Kosten von 200.000,- € . Wenn das Geschäft kein Erfolg wird, und nur 150.000 € einspielt, dann hat die Fundraising-Firma 50.000,- € Verlust gemacht. Doch in der Regel wird der Fundraiser wohl eher 500.000,- € einsammeln. Somit hat er eine Gewinnspanne von 60 %, was nicht unüblich ist. So weit so gut, doch was bedeutet dies für den Spender? Der Spender, der eine Sondermarke für 1,- € kauft, denkt, dass dieser Euro tatsächlich dem Zweck von XYZ zu Gute kommt. Doch weit gefehlt! Von dem 1 € kommen überhaupt nur 1/5, also 0,20 Euro bei der Organisation XYZ an. Und auch von diesen 0,20 Euro wird nur ein Teil tatsächlich bei dem vorgegebenen Zweck landen. Denn die Organisation XYZ hat auch ihre Unkosten, ihre interne Verwaltung, usw. Wenn man ganz großes Glück hat, erreicht also vielleicht 10 % den tatsächlichen Bedürftigen und auch dann ist nicht gesagt, dass das Geld dort wirklich eine langfristig positive Wirkung auslöst.
Der groß angelegten „Wohltätigkeits-Industrie“, all den Wohltätigkeitsveranstaltungen, den Spendenaufrufen, etc., stehen wir skeptisch gegenüber. Die tatsächliche Hebelwirkung des eingesetzten Geldes ist in der Regel so gering, dass diese Art von sozialem Engagement für uns, für die Marke Niveau élevé, nicht in Frage kommt.
Die Marke Niveau élevé wird also eher keine Spenden an wohltätige Organisationen geben, bei denen die weitere Verwendung der Gelder außerhalb der direkten Kontrolle und des eigenen Einflusses liegen. Dafür werden wir umso mehr die Projekte fördern, welche im Rahmen unserer eigenen Firmengruppe durchgeführt werden. Dies sind vor allem drei Großprojekte, welche in den folgenden Kapiteln beschrieben werden.
Natürlich ist eine bestimmte ethische Grundhaltung Teil unserer Geschäftsphilosophie und bei sämtlichen Berührungspunkten mit Mitarbeitern, Geschäftspartnern und Behörden sollte diese Haltung auch zum Ausdruck kommen. Es ergibt keinen Sinn mit aller Härte einen möglichst hohen Gewinn einzufahren und ihn dann wieder mit Milde zu verteilen. Die Ziele, die sich unsere Marke gestellt hat, liegen ohnehin nicht in dem üblichen Schema einer monetären Struktur. Es kommt uns weniger darauf an, einen wirtschaftlichen Erfolg zu haben, um die Gewinne dann guten Zwecken zuführen zu können, sondern wir möchten Dinge tun, die anderen Richtlinien folgen als den üblichen. Die drei großen Projekte, welche Niveau élevé unterstützt, sind die Errichtung eines völlig autarken, nachhaltigen Energiesystems für eine geschlossene Micro-Gesellschaft von ca. 50.000 Einwohner, die Modellanlage einer Meerwasser-Entsalzungsanlage, welche mit grüner Energie betrieben wird, ganz ohne Chemikalien und möglichst ohne Umweltbelastung, und die Hinterfragung unseres monetären Gesellschaftssystems mit der Förderung von Alternativen zum derzeitigen global praktizierten Wirtschaftssystem.
In wie weit sich durch die Marke Niveau élevé eine Unterstützung dieser Projekte, welche in den nachfolgenden Kapiteln beschrieben werden, realisieren lässt, wird sich zeigen. Unser Fokus liegt jedoch auch auf dem philosophischen Hintergrund der Produkte der Marke selbst. Eigentlich zielen wir auf die Manifestation einer bestimmten Haltung, einer Erkenntnis, eines bewussteren Umgangs mit uns selbst und unserer Umwelt ab. Ein Engagement für die drei benannten großen Projekte sind ein wertvoller Teil und eine notwendige Konsequenz des Ganzen. Doch das tatsächliche Ziel liegt genauso im persönlichen Bereich jedes Einzelnen, wie in den übergeordneten gesellschaftlichen Projekten.