Wasser
Neben dem Tamildorf „Bhommayapalayam“ am Golf von Bengalen, etwa 10 km nördlich von Pondicherry, baut das Team um Niveau élevé derzeit eine Meerwasserentsalzungsanlage. Ziel ist es, eine völlig umweltgerechte Entsalzungsanlage zu erstellen, die folgende Kriterien erfüllen soll:
- Die Anlage soll zu 100% mit CO²-ausstoßfreiem Strom betrieben werden, konkret gesagt mit Windenergie.
- Die Anlage soll völlig ohne Chemikalien arbeiten.
- Die Anlage soll die eigentliche Haupt-Umweltbelastung von Entsalzungsanlagen vermeiden: die Bildung eines Teppichs von sauerstofffreiem, schwerem Wasser am Meeresboden, der alles Leben darunter erstickt.
- Die Anlage soll eine Musteranlage sein, welche im Falle des Erfolgs, mit öffentlicher Unterstützung an den Küsten Indiens vervielfältigt werden kann.
Der Bau solch einer Anlage ist keine einfache Aufgabe. Es gibt viele Hürden, angefangen von der Skepsis und dem Widerstand der lokalen Fischer, über das Genehmigungsverfahren, bis hin zu den technischen Herausforderungen eines neuen ökologischen Konzepts. Doch mit das größte Problem, welches sich uns stellt, ist der Transport des Trinkwassers von der Küste bis zu dem beabsichtigten Verteilungspunkt, etwa 9 km landeinwärts. Also gehen wir das schwierigste Problem zuerst an. Nachdem wir das Land für die Anlage gekauft und das Genehmigungsverfahren im Großen und Ganzen abgeschlossen haben, widmen wir uns als erstes der Pipeline für das Trinkwasser.
Das erste Hindernis ist, dass zwischen dem Bauplatz am Meer und der Küstenstraße, 200 m landeinwärts, ein Friedhof liegt. Durch diesen alten Friedhof einen Graben auszuheben und eine Pipeline zu legen ist unmöglich. Die Küstenstraße zu unterqueren ist der nächste große Schritt. Weiter folgt ein Abschnitt an einer kleinen Straße, die von privaten Häusern gesäumt ist. Auch hier ist ein Graben zwischen Straße und Häusern nicht möglich. Ein ganz grundsätzliches Problem ist auch der Umstand, dass man vorausschauend überlegen muss, was passiert, wenn das Grundwasser der Küstengegend anfängt Salzwasser zu ziehen. Die lokalen Anwohner werden dann sicherlich versuchen die Pipeline auszugraben und anzuzapfen. Am schwierigsten ist der erste Kilometer. Wenn der mal überwunden ist, ist das Gröbste geschafft. Danach gibt es eine kleine Straße, der man folgen kann und an deren Rand man die Pipes in den Boden versenken kann.
Um die ersten 400 Meter Friedhof, Küstenstraße und Siedlungsgebiet zu überwinden gibt es nur eine Lösung: Man muss 7 bis 10 Meter unter der Oberfläche mit einem Bohrverfahren die Pipeline unterirdisch einziehen. Danach müssen wir auf Land, das wir kaufen konnten, die Pipeline in einem tiefen Graben weiterführen.
Das Land für die Anlage haben wir schon seit längerer Zeit erworben, das Land zum verlegen der Pipeline erst kürzlich. Die ersten Kilometer Rohrleitungen liegen schon seit über einem Jahr auf dem Gelände der künftigen Anlage, da die Genehmigung des Highway-Department, unter der Küstenstraße eine Pipeline zu verlegen, schwierig zu bekommen war. Doch schließlich ist es so weit und im Oktober 2016 können wir endlich anfangen: 9 km Strecke insgesamt, mehrere Rohre nebeneinander, gefertigt aus HDPE (High Densitiy Polyethylen). Ziel der Streckenführung ist einer der höchsten Punkte in der Gegend, etwa 50m hoch, von wo aus wir die Verteilung des Wassers auf die verschiedenen Siedlungen vornehmen wollen. Unser Ziel ist es, den schwierigsten und teuersten Abschnitt von etwa einem Kilometer innerhalb von zwei bis drei Monaten abzuschließen und uns danach in mehreren Etappen von einem bis drei Kilometern dem Zielpunkt zu nähern.
Da gerade die ersten Modelle der Uhren gefertigt werden und das Erscheinen der Marke unmittelbar bevorsteht, entschließen wir uns kurzer Hand, dass Julia (s. Kapitel Team) die neuen Uhren nicht nur in einem Fotoshooting in der Diamantschleiferei und der Glasmanufaktur vorstellt, sondern auch vor dem Hintergrund der Arbeiten mit der Trinkwasser-Pipeline. Julia kommt aus Zug, dem Ort in der Schweiz, in dem das Herz der Niveau élevé Uhren schlägt. Sie lebt aber vorwiegend in Auroville – Südindien.
Die Meerwasser Entsalzungsanlage ist eines der wichtigen Projekte, bei der die Marke Niveau élevé entscheidend zur Finanzierung beitragen soll. In welchem Umfang sie dies tun kann, wird sich zeigen. Für uns sind jedoch all diese Projekte eins. Es ist aufregend und interessant Diamanten zu schleifen und außergewöhnliche Juwelen herzustellen. Es ist faszinierend zu versuchen eine Uhrenmarke zu kreieren, welche sich aus drei Elementen zusammensetzt: einer philosophischen Lebenseinstellung, einer ganz bestimmten Art von Ästhetik und einem Fachwissen in Punkto Schmuck, Diamanten und Glas. Es ist genauso aufregend ein Umweltprojekt von der Dimension unserer Meerwasser-Entsalzungsanlage anzugehen, oder zu versuchen die Energieversorgung einer künftigen Stadt auf eine autarke, ökologische Grundlage zu stellen. Ebenso spannend ist es jedoch auch den Versuch zu wagen, die Prinzipien unserer monetären Gesellschaft zu überdenken und zu sehen ob es nicht Alternativen dazu gibt. Das Projekt der Meerwasserentsalzung ist von all unseren Aktivitäten insofern sehr im Vordergrund, da die zunehmende Versalzung der Küstenregion im südlichen Teil des Golfs von Bengalen uns alle sehr beunruhigt. Hier bahnt sich eine Umweltkatastrophe gigantischen Ausmaßes an.
Mit der ständig wachsenden Weltbevölkerung, der zunehmenden Technologisierung, dem wachsenden durchschnittlichen Lebensstandard und dem Klimawandel, werden die Ressourcen ganz generell knapper. Am krassesten sieht es aber mit den ganz einfachen Dingen aus: Luft, Wasser, Sand, fruchtbares Ackerland, etc. Laut Jahresberichten der Weltbank hat sich das globale Wirtschaftsaufkommen zwischen den Jahren 2002 und 2014, also innerhalb von 12 Jahren verdoppelt. Das bedeutet in 2014 wurde doppelt so viel produziert wie im Jahr 2002, doppelt so viele Autos, doppelt so viele Wohnungen, doppelt so viele Handys… Wenn wir uns die Statistiken der Förderung von Rohstoffen ansehen, bestätigen sie das Bild zu einhundert Prozent. Die globale Förderung von Kohle, Eisenerz, Aluminimum (Bauxit), Erdöl, Kupfer, usw., war bei allen sogenannten „Commodities“ in 2014 doppelt so hoch wie im Jahr 2002.
Vielleicht schafft es unser Planet noch ein paarmal den Abbau von Eisen, Kohle, etc. zu verdoppeln. Aber alle 12 bis 15 Jahre den Wasserverbrauch zu verdoppeln? In einigen Gegenden wird dies möglich sein, aber in vielen Gegenden nicht. In Afrika, in Indien und etlichen anderen überbevölkerten Kulturräumen herrscht jetzt schon eine akute Wasserknappheit. Doch das beunruhigende an der Wasserknappheit ist, dass selbst wenn man den Wasserverbrauch auf heutigem Niveau einfrieren würde, sich die Situation auch ohne Zuwachs des Verbrauchs verschlechtern würde. In vielen Gegenden leben wir heute schon von geologischen Süßwasserreserven, die sich sehr bald erschöpfen werden. Ein einschneidendes Beispiel hierfür ist Indien.
Indien ist ein Land mit einem enormen Bevölkerungszuwachs. Die etwa 1,3 Milliarden Inder werden sich vermutlich innerhalb der nächsten 60 Jahre nochmal verdoppeln. Doch die Bevölkerungsexplosion ist nicht das Hauptproblem in Bezug auf Wasser. Ein viel größeres Problem für den Wasserhaushalt der Natur sind die sich verändernden Lebensmuster Indiens. Bis vor einem halben Jahrhundert lebten 95 % der Bevölkerung auf dem Land. Dort gab es in den Dörfern kaum fließendes Wasser in den Häusern, keine Toiletten, keine Duschen. Das Wasser zum Trinken und Waschen wurde von einem Dorfbrunnen per Tonkrug zur eigenen Hütte gebracht, und so betrug der pro Kopf-Wasserverbrauch nicht mehr als 20 Liter pro Tag. Heute sieht dies anders aus. Fließendes Wasser ist etwa Zwei Drittel der Bevölkerung zugängig und so hat sich der durchschnittliche Wasserverbrauch auf über 100 Liter pro Kopf und Tag erhöht. Zusätzlich entstanden große Industriezweige, welche viel Wasser benötigen, z.B. die Textilindustrie.
So geriet das Gleichgewicht zwischen Entnahme und natürlicher Auffüllung des Grundwassers während den letzten Jahrzehnten völlig aus dem Gleichgewicht. In der Gegend um die Industrie-Stadt Coimbattore, wie in weiten Teilen des indischen Südens, ist der Grundwasserspiegel auf 400 m abgesunken. Bei einer Bodenhöhe von 200 m über Meeresspiegel, bedeutet dies, dass der Grundwasserspiegel 200 m unter Meeresniveau liegt.
Studien eines französischen Forscherteams, die die Grundwasser-Situation an der Küste des Golfs von Bengalen untersucht haben, haben ergeben, dass in der Gegend um Pondicherry, je nach Bevölkerungsdichte, zwischen dem sechsfachen und dem siebzehnfachen an Grundwasser abgepumpt wird, verglichen mit dem was durch Versickern von Regenwasser wieder ins Grundwasser gelangt. Gleichzeitig ergaben die Forschungen, dass der Grundwasserspiegel an den meisten Küstenabschnitten schon deutlich unter dem Meeresspiegel liegt. Dies jedoch bedeutet, dass sich derzeit der Grundwasserspiegel mit Wasser auffüllt, welches in Tonschichten unter dem Meeresboden gespeichert ist. Über Jahrtausende hinweg floss Süßwasser unterirdisch vom Landesinneren in Richtung Küste und machte am Strand nicht halt, sondern floss weiter unter das Meer. Wie weit sich die Süßwasserblase unter dem Meer erstreckt ist nicht erforscht. Klar ist, dass die Süßwasser-Vorräte unter dem Meer sich derzeit in das Grundwasser der Küstenregion entleeren und dass in relativ kurzer Zeit die komplette Süßwasserblase aufgebraucht sein wird, wobei das nachdrückende Salzwasser dann plötzlich ins Grundwasser einbrechen wird. Zu diesem Zeitpunkt wird dann schlagartig das Küstengrundwasser versalzen, mit katastrophalen Folgen für die lokale Bevölkerung.
Indien hat ein sehr hohes Wirtschaftswachstum, gemessen am globalen Durchschnitt. Dies bedeutet einerseits, dass sich die Wasserknappheit dramatisch verschärfen wird, weil der Verbrauch noch steigen wird und sich gleichzeitig geologische Süßwasserreservoirs, wie jenes unter dem Meeresboden, erschöpfen. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass Indien es sich bald leisten kann, in großem Stil Meerwasser-Entsalzungs-Anlagen zu bauen und somit den Süßwasserbedarf zumindest teilweise decken kann. Schon jetzt produziert eine große Entsalzungsanlage in Chennai, am Golf von Bengalen, 150 Millionen Liter Trinkwasser pro Tag. Eine zweite noch größere Anlage ist in der Nähe von Chennai im Bau und wird bald ca. das dreifache an Trinkwasser produzieren.
Die Lösung des Trinkwasserproblems Indiens über riesige Entsalzungsanlagen wird jedoch die Umweltprobleme Indiens und das globale Klimaproblem verschärfen. Die Mega-Anlagen bringen drei Probleme mit sich:
Sie werden mit Netz-Strom betrieben, der in Indien zum größten Teil aus Kohle gewonnen wird. Der Haupt-Kostenfaktor für das Entsalzen von Wasser ist die Energie. Entsprechend hoch ist der Energieverbrauch solcher Anlagen. Man muss bei den konventionellen Anlagen, die derzeit im Bau sind, mit ca. 5 KWh Strom pro 1000 Liter Trinkwasser rechnen. Die Anlage in Chennai verbraucht also pro Tag etwa 0,75 Millionen KWh Kohlestrom. Um langfristig den Wasserbedarf der Küstenregion zu decken, sobald das Grundwasser mal versalzen ist, bedürfte es also vermutlich mehrerer hundert Millionen KWh Strom täglich, mit den daraus resultierenden Folgen für den CO² -Gehalt unserer Atmosphäre.
Die Anlagen arbeiten mit chemischen Zusätzen beim angesaugten Meerwasser, vor allem um die organischen Partikel, bzw. die Plankton-Lebewesen „auszuflocken“. Bei der Bauweise der großen Anlagen ist dies notwendig, da das Plankton die Membranen der Anlagen verstopft, durch die das Salzwasser gepresst wird. Diese Zusätze landen dann in den ca. 70 % des angesaugten Salzwassers, das wieder ins Meer zurückgepumpt wird.
Das größte Umweltproblem bei Mega-Anlagen ist, dass mindestens 70 % des angesaugten Meerwassers, angereichert mit dem Salz, welches aus dem produzierten Süßwasser stammt, ins Meer zurückgepumpt wird. Eine Anlage, welche also 150 Millionen Liter Trinkwasser pro Tag produziert, entlässt täglich beinahe eine halbe Milliarde Liter angereichertes Salzwasser ins Meer. Dies an sich wäre noch kein so großes Problem. Doch wird das ganze Wasser an einen einzigen Punkt, ein paar hundert Meter von der Küste entfernt zurückgeführt. Das Problem dabei ist, dass dieses Wasser, durch den hohen Druck, dem es während des Prozesses der Salzanreicherung ausgesetzt war, allen natürlichen Sauerstoff verloren hat. Es ist also „totes“ Wasser. Die Tatsache, dass der Salzgehalt um 1/3 höher ist, als normal, macht das Wasser schwerer. So sinkt es sofort auf den Meeresboden und verteilt sich dort wie ein Teppich. Die Küstenregion des Golfs von Bengalen ist eine „Shelf-Area“. Unter einer relativ dünnen Lage Wassers erstreckt sich der Meeresboden bis etwa 100 km in den Golf in einer Tiefe von nur 10 bis 100 Metern. Das Rückflusswasser der Anlage erreicht also den Meeresboden ohne große Vermischung mit dem normalen Meerwasser und bildet so einen riesigen Teppich aus sauerstofflosem, stark salzhaltigen und mit Chemikalien versetzten Abwasser. Somit erstickt es alles Leben, welches sich am Meeresboden befindet. Wenn sich der „Brine-Teppich“ in einer Höhe von 20 cm aufbauen würde und es einen Tag dauern würde, bis sich das schwere Wasser mit dem leichteren normalen und sauerstoffhaltigen Wasser vermischt, dann würde dies bei einer halben Milliarde Liter einen abgestorbenen Meeresboden von einer Größe von 2,5 Millionen Quadratmetern bedeuten. Bei einer Vielzahl solcher Anlagen würde dies eine deutliche Beeinträchtigung des Maritimen Lebens der Küstenregion zur Folge haben.
Um dieser Entwicklung gegenzusteuern baut das Team um Niveau élevé derzeit eine kleinere, umweltgerechte Entsalzungsanlage etwa 10 km nördlich von Pondicherry. Die drei umweltrelevanten Kriterien sind dabei mustergültig gelöst:
Die Anlage wird ein „ERS“, also ein „Energy-Regain-System“ besitzen. Dies bedeutet, dass das angereicherte Salzwasser, welches unter hohem Druck vor der Membran aus dem Kreislauf ausgeleitet wird, nicht einfach ins Meer fließt, sondern vorher durch eine Turbine läuft und den Druck in eine Rückgewinnung von Strom umwandelt. Somit reduziert sich der Stromverbrauch für die Trinkwassergewinnung von 5 KWh auf 3 KWh pro tausend Liter. Dieser Strom wird bei unserer Anlage nicht aus normalem Netzstrom bereit gestellt, sondern von dem im vorherigen Kapitel erwähnten, hauseigenen Windpark produziert.
Die Anlage wird ganz und gar ohne Chemikalien betrieben werden. Das chemische „Ausflocken“ des Planktons wird ersetzt durch eine hohe UV-Bestrahlung des eingesaugten Wassers mit darauffolgender Mikrofiltrier-Anlage. Dabei fließt das angesaugte Meerwasser, noch bevor es die Druck-Pumpen erreicht, durch Quarzröhren, welche UV- durchlässig sind. Diese Quarzglas-Rohre werden von starken UV-Lampen bestrahlt und die hohe Dosis UV-Licht im Ansaugwasser zerstört alle organischen Substanzen. Diese werden dann in Mikrofiltern ausgefiltert. Der technische Nachteil dieser Anlage ist, dass man relativ häufig die Mikrofilter reinigen muss. Doch kann man so die Anlage ohne Chemie betreiben.
Die Prototyp-Entsalzungsanlage wird maximal 10 bis 15 Millionen Liter Trinkwasser pro Tag produzieren und wird die „Brine“ also das angereicherte Salzwasser erst in 500 Meter Entfernung von der Küste ins offene Meer einleiten. Mit einer „batrimetischen“ Studie wurde sichergestellt, dass, bei 20 Millionen Litern Brine-Abfluss täglich, die Verwirbelungen durch die Strömung an der betreffenden Stelle groß genug sind, um die Bildung eines Teppichs aus schwerem Wasser zu verhindern.
Mit dieser Pilotanlage, welche maximal 100.000 Personen mit einem geschätzten Trinkwasser-Bedarf von etwa 130 Litern/Tag versorgen kann, ist natürlich das generelle Wasser-Problem an der Ostküste Indiens noch nicht gelöst. Doch ist geplant die Anlage als Musteranlage zu verwenden und nach Fertigstellung mit Hilfe von staatlichen, kommunalen oder privaten Geldern die Errichtung und den Betrieb kommunaler, baugleicher Anlagen für Kleinstätte an der Küste zu fördern. Sollte dieses Modell der Meerwasser-Entsalzung gut funktionieren, dann wäre die Anlage die einzige Alternative für Kommunen bis zu 100.000 Einwohnern an der Küste. Es ist zu vermuten, dass es für dieses Modell von Anlagen genügend Investoren gibt, Staat und Kommunen eingeschlossen. Der große Trumpf des Konzeptes sind die Landpreise an der Küste. Der Preis für einen Quadratmeter küstennahes Land beträgt an der Ostküste etwa 5000 Rupien, also 70 €. Da das Land im Falle der Grundwasser-Versalzung, ohne alternative Wasserversorgung, sowohl für die Landwirtschaft, als auch als Aufenthaltsort für die lokalen Fischer nicht mehr geeignet wäre, würde der Preis auf einen Bruchteil einbrechen. Stellt man den Wertverlust des Küstenlandes den Baukosten einer kleinen oder mittelgroßen Entsalzungsanlage gegenüber, dann sieht man sofort, dass schon die Grundbesitzer aus nur einem kleinen Teil der Werterhaltung ihres Grund und Bodens die Anlage finanzieren könnten. Nimmt man die Tatsache hinzu, dass solch eine Anlage gleichzeitig ein gutes Geschäft für Besitzer und Betreiber wäre, so besteht doch die berechtigte Hoffnung, dass das Modell dieser Anlage vielfach kopiert werden könnte. Würde man es gleichzeitig schaffen, durch die Umweltfreundlichkeit der Anlage staatliche Zuschüsse für den Bau konzeptgleicher Anlagen zu bekommen, dann könnte das Projekt eventuell einen nicht unwesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen Lösung des Trinkwasserproblems in Indien leisten.
Die Frage, die sich bei diesem Konzept aufwirft, ist natürlich ob sich der umweltfreundliche Aspekt bei der Umsetzung einer Vervielfältigung der Anlagen erhalten lässt. Man könnte befürchten, dass zwar das technische Konzept der Anlage Schule macht, aber z.B. der grüne Strom durch normalen Netzstrom ersetzt würde. Es wäre auch denkbar die UV- und Mikrofiltrieranlage einzusparen und doch wieder Chemikalien zu verwenden. Genauso könnte man bangen ob eine Veränderung bei der Größe der Anlage in Kombination mit einem küstennäheren Austrittpunkts der „Brine“, nicht wieder einen sauerstofflosen Schwerwasserteppich zur Folge hätte.
Doch gegen die Sorgen um die drei Hauptpunkte der Umweltfreundlichkeit spricht auch einiges. Der gewerbliche Netzstrom kostet derzeit in Indien etwa 8 Rupien pro KWh. Dies ist deutlich mehr, als die Produktionskosten von einer KWh Windenergie. Eine Windkraftanlage des Modells von Enercon mit einer Kapazität von 0,8 Megawatt, kostet zurzeit in Indien etwa 50 Million Rupien. Solch eine Anlage produziert pro Jahr zwischen einer und zwei Millionen KWh Strom. Das bedeutet, wenn man den eigenen Strom verwendet, spart man etwa 12 Millionen Rupien pro Jahr. Eine Windkraftanlage hat sich also nach 5 Jahren amortisiert, läuft aber etwa 20 Jahre lang. Zusätzlich gibt es vom Staat Steuerbegünstigungen, wie die Möglichkeit 80 % der Windkraftanlage pro Jahr abzuschreiben. Die Kosten pro Kubikmeter Trinkwasser sind also bei Verwendung von Windenergie etwa nur halb so hoch wie bei Verwendung von Netzstrom.
Die Verwendung von Chemikalien bei der Anlage spart sicherlich Kosten und macht den Betrieb etwas einfacher. Doch eine der Haupthürden um eine Anlage zu bauen, ist das Genehmigungsverfahren. Dieses zieht sich in Indien über Jahre hin, ist ziemlich teuer und wird vor allem letztendlich durch das „Water-Pollution-Board“ in Dehli entschieden. Die „Environmental Impact Study“, welche aufwendig und kompliziert zu erstellen ist, nimmt im Genehmigungsverfahren eine Schlüsselrolle ein. Ein Betrieb ganz ohne Chemikalien erleichtert natürlich den Prozess ganz gewaltig, vor allem wenn es eine Mustergleiche Anlage schon im Vollbetrieb gibt, bei welcher man die Environmental Impact Study mehr oder weniger nur kopieren muss. In den meisten Fällen muss man davon ausgehen, dass eine Entsalzungsanlage erst dann gebaut wird, wenn das Grundwasser durch Versalzung unbrauchbar geworden ist.
In solch einer Situation ist dann natürlich Not am Mann und ein jahrelanges Verfahren zur Baugenehmigung bringt enorme Schwierigkeiten für die lokale Bevölkerung mit sich. Man muss deswegen davon ausgehen, dass eine kürzere und billigere Genehmigungsperiode hier wichtiger genommen werden als die kommerziellen Vorteile einer einfacheren Handhabung bei dem späteren Betrieb der Anlage.
Das Genehmigungsverfahren beinhaltet auch eine Untersuchung der Akzeptanz der umliegenden Bevölkerung. Im Regelfall sind dies an der Küste Fischerdörfer. Da die lokale Fischerei der erste und sofortige Leidtragende eines sauerstofflosen Schwerwasserteppichs ist, muss man davon ausgehen, dass die Entschärfung des Konfliktpotentials mit den Fischern, bei einer gründlichen Handhabung dieses Punktes, entscheidend sein dürfte. Wenn die Frage nach den Folgen der Anlage für die Fischerei offen diskutiert wird, dann kann sich eine nachlässige Handhabung dieses Punktes hoffentlich schwer behaupten.
Wir sehen also gute Chancen, die Umweltfreundlichkeit unserer Pilotanlage auch skalieren zu können. Es ist nur wichtig, dass die erste Anlage problemfrei läuft und technisch wie sozial ein Erfolg wird.